Early adopters.

 

Herr Beyer wusste es schon immer: Ob karierte Hose im Schottenrockdesign, neongelbe Windjacke oder blau-weiße Saucony Schuhe, Herr Beyer ist ein Early Adopter. Er ist ein Trendsetter, der ganz links die Gauß’sche Verteilungskurve surft. Jemand, dem die großen Massen folgen. Meistens. Manchmal. Nun gut, vielleicht auch eher selten. Die großen Massen verkennen zu oft das Genie des Early Adopters, dessen häufiges Schicksal es ist, bei dem ein oder anderen Trend alleine dazustehen.

Dieses Mal ist sich Herr Beyer seiner Sache jedoch todsicher. Der Trend lässt sich schon ausmachen. Er ist nicht mehr zu übersehen: Die Cracks sind voll dabei. Und in diversen Fachjournalen sind bereits ausführliche Lobpreisungen zu finden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Pöbel folgen wird. Dem listigen Leser wird nun klar sein, dass vom Vierundzwanzigstundenwandern die Schreibe ist.

Der deutsche Ausdruck, der der Länge derartiger Aktionen hinreichend Nachdruck verleihen könnte, wird wieder einmal als zu sperrig angesehen, weswegen sich die Community dem Englischen bedient: „Full-day-hiking“, „Extreme hiking“, „XXL hiking“ oder „Walk around the clock“ werden Vierundzwanzigstundenwanderungen genannt, wobei letzterer Ausdruck nicht suggerieren sollte, dass um eine Uhr gelaufen wird. Das wäre gar in Herrn Beyer’s Relationen verrückt. Doch wer glauben mag, dass so etwas unmöglich sei, sollte die unglaubliche Geschichte von Amanda Coker inhalieren: http://www.bicycling.com/rides/records/is-amanda-coker-for-real.

Alles Fake? Nein, nein. Herr Beyer hat durchaus Belege: Nebst Herrn Beyer führt auch Herr Kammerlander, der wohl an den Folgen der Himmalaya-Hypoxie leidet, Touristen 24 Stunden in die Irre – oder sollte der Autor besser schreiben: In den Irrsinn? (http://www.kammerlander.com/berge/24-stunden-wanderung/). Herr Kammerlander bietet gar Achtundvierzigstundenwanderungen an, dem Herr Beyer mit seinem neuen Winterprojekt „Die längste Nachtwanderung des Jahres“ entgegnen wird. Und das Wandermagazin „Wandermagazin“ listet für das Jahr 2017 circa 20 Vierundzwanzigstunden- und Extrem-Wanderungen auf, wobei die Tendenz steigend sei. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis Spiegel, FAZ und Süddeutsche berichten werden.

Dabei stößt sich Herr Beyer am Begriff „extrem“: Bereits Lothar Leder, der erste Sub-8-Stunden-Finisher auf der Ironmandistanz, hat sich zu seiner Zeit über die Extremsportler, die an Doppel-, Dreifach-, oder Zehnfachironmans teilnehmen, lustig gemacht. Da war Amanda Coker zwar schon geboren, aber erst zehn Jahr alt. Hätte sich Herr Leder besser zurückgehalten, denn wer weiß, was schon extrem ist.

Und noch etwas ist nicht in Herrn Beyer’s Sinne: Da werden große Wanderevents mit Vierundzwanzigstundenwanderungen, mutmaßlich vielen Teilnehmern und Rundumversorgung mit hyperkalorischer Sportlerkost ausgeschrieben, was jedoch den Kerngedanken des Vierundzwanzigstundenwanderns verwässert. Da ist man eben wieder bei der Deutschen Wohlstandslethargie angelangt, mit der auch der deutsche Sport gepudert und gepampert im Mittelmaß versinkt. „Loofen is kee Fun!“, wusste schon einer der Osttrainer, die Waldemar Cierpinski zum Olympiadoppelsieger peitschten.

Ob es bei „unser Waldemar“ alleine die Peitsche war, das vermag Herr Beyer natürlich nicht zu beurteilen. Eintreten kann Herr Beyer nur für seinen Kompagnon Rolf und sich selbst: Beide haben auf ihrer Vierundzwandzigstundenwanderung ausschließlich mit Flüssigzucker und Coffein nachgeholfen. Da die Effekte mal wieder erstaunlich prompt und ausgeprägt waren, wundert es Herrn Beyer schon, warum das Cola-Zeugs noch nicht verboten ist. Von 0 auf 1000 Worte/min in 3:36 Minuten! Das Cola-Zeugs schießt in die Birne und lässt jeden Hungerast ergrünen. Und das mindestens sechsmal in 24 Stunden, auch wenn eine gewisse Toleranzentwicklung gegen Ende der Tour festzustellen war.

„Fun“ hatten Rolf und Herr Beyer nur bedingt. Aber „Fun“ war ja nicht die Mission, beziehungsweise „Kein Fun“ war das ausgegebene Ziel. Und das gelang den beiden durchaus, selbst wenn ihr heeres Ziel von den fränkischen Mitbürgern regelmäßig sabotiert wurde. Die Füße brannten, die Beinmuskulatur krampfte, die Schultern schmerzten und Rolf und Herr Beyer wähnten sich angekommen, als nicht wieder einer dieser Franken die beiden in „Fun“ und Glückseeligkeit zurückholte:

(1) Da waren die netten Bedienungen des Stempferhofs, die auch zu später Stunde noch Tür und Tor öffneten, die durstenden Wanderer beherbergten und ihnen vom Flüssigzucker mit Coffein boten. Und dann noch gratis Ananas und Nüsse verteilten. Eine Unverschämtheit! Die Türe hätte verschlossen bleiben müssen und der Wasserhahn an der Hauswand wäre mehr als hinreichend gewesen.

(2) Dann lag dieser Sack auf einer Bank am Wegesrand, mitten in der Fränkischen, grün schimmernd im abgedimmten Stirmlampenlicht. Der sah auch im ersten Moment wie ein Müllsack aus. Ein Müllsack. Wer da wohl wieder seinen Dreck! – Oh hopla: Der Müllsack hatte ein Gesicht und sprach: „Guten Abend.“

(3) Der Chef und der „Georg!!!“ im Hotel-Gasthof-Resengörg waren ein kongeniales Situationskomikduo, das nebst der Unterhaltung auch ein unverschämt günstiges, ausgiebiges und leckeres Frühstücksbuffet bot. Und dafür akzeptierten sie gar Trinkgeld, wo das Buffet mit 10,30 Euro schon viel zu preiswert bemessen war. Für künftige Preissteigerungen fühlen sich Rolf und Herr Beyer übrigens nicht verantwortlich.

(4) Und schließlich die liebe Anni im Gasthaus Fuchs in Weingarts, die aufgrund ihrer Presbyakusis dem Anliegen der beiden zunächst nachgekommen war, sie eben nicht zu bedienen. Auch sie hielt am Ende nicht stand: „Wollt ihr a Bier?“ „Naaa-, der junge Mann braucht an Tsugger!“ „Wooos, an Tsugger hat der?“ Auch Anni bot Flüssigzucker mit Coffein zu einem unverschämt günstigen Preis. „Wieviel macht des Anni?“ „Zwo – zwo – drey – zwo -…- nein Mark!“ (Annmerkung des Autors: „nein“ im Fränkischen ist doppeldeutig und kann „nein“ oder „neun“ bedeuten.)

Sie allesamt, die Stempferhofer, der Sack, der Chef und Georg sowie die Anni, haben das Vierundzwangzigstundenhardcorewandern von Rolf und Herrn Beyer sabotiert, so dass doch kurze Phasen Spaß und Glück aufkeimen konnten. Recht schlimm war das Vierundzwanzigstundenwandern also leider nicht, und umso weniger im Nachgang.

 

 

 

 

 

 

7 Comments

  1. Mutti

    betreibst Du die ganzen Aktionen auch um Deine Psychologiestudien voranzutreiben.
    Ist schon interessant welche Menschen man auf diesen Adventures trifft, die dann auch in Deine
    Geschichten mit einfließen.
    Aber find ich toll.

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