„Guuuten Taaag! … Deutschland!“ Der Mann mit Maschinengewehr, Gesichtsmaske und Uniform ist sichtlich begeistert, dass ich aus Deutschland komme. Adriano, mein italienischer Radreisekumpel ist sichtlich nicht begeistert und gibt sich beschäftigt an meinem Rad. Selbst weiß ich nicht, was ich von der Situation halten soll, empfinde sie als semibedrohlich.
Aber von vorne. Adriano und ich befinden uns „zwischen den Grenzen“ von Chile und Argentinien, auf einem recht beliebten, abenteuerlichen Trip zwischen Villa O’Higgens (Chile) und El Chalten (Argentinien). Genauer gesagt befinden wir uns zwischen den beiden Grenzposten, die 20 Kilometer auseinander liegen; die Grenze selbst ist ja nur ein mehr oder weniger dicker Strich in der Landschaft oder auf der Karte, eigentlich ganz virtuell hier. Emigriert aus Chile sind wir, aber noch nicht in Argentinien immigriert.
Unser Tagestrip hatte bereits Villa O’Higgens begonnen. Nach einer ersten kleinen Radtour von acht Kilometern, 50 Kilometern Bootsfahrt, der Emigration aus Chile und weiteren sechs Kilometer steinigen Anstieg mit dem Rad, hatten wir uns über den grandiosen Anblick des Mt. FitzRoys („Fitzi“, Neologismus des Autors, Anmerk. des Autors) gefreut. Mancheiner muss Wochen warten, um dieses Naturdenkmal im Nationalpark Los Glaciares im argentinischen Patagonien in seiner vollen Schönheit zu sehen. Meist hüllt sich der Fitzi in Nebel. Kurz nachdem wir Fitzi das erste Mal erblickt hatten, hatte mich die Speichenproblematik eingeholt: Auch die neuen Speichen beginnen zu reißen. Adriano und ich hatten entschieden, in der wärmenden Sonne in der Mitte des verlassenen Wanderweges die Reparatur vorzunehmen. Da ich mindestens zehn Ersatzspeichen mitführe, ich bin ja ein gebranntes Kind, und demnächst ein Großteil der verbleiben den 1000 Kilometer auf Asphalt sein wird, hatte mich der Speichenbuch nicht beunruhigt. Ein paar Wanderer waren vorbeigekommen und hatten munter mit uns geplaudert. Und dann kamen vier Soldaten auf zwei Quads, anscheinend froh, dass am A*** der Welt endlich auch mal was passiert. Einer von ihnen trug eben Sturmmaske und Maschinengewehr. Die Wanderer verzogen sich rasch, Adriano beschäftigte sich mit dem Rad und ich versuchte den Soldaten zu erklären, dass wir hier mein Rad reparierten. Mit Händen und Füßen und der kaputten Speiche. Viel passierte nicht. Wir schüttelten uns alle die Hände und nach den ersten Bröckelchen Deutsch des freundlichen Soldaten mit Sturmaske und Maschinengewehr dachte ich, dass nun „Aturo Vidal, FC Bayern und Rammstein!“ folgen müssten. Anscheinend erkannten sie jedoch unsere Anspannung und zogen weiter.
Die Speiche war schnell ausgetauscht. Praktischerweise reißen die Neuen in Nabennähe und nicht am Nippel. Die Mehrzahl verwendet der Autor, da später noch eine Zweite reißen sollte. Das macht jedenfalls den Wechsel leichter. Es müssen nur Scheibe und Ritzel ab, wohingegen Felgenband, Schlauch und Mantel dran bleiben.
Danach ging es gut weiter, immer mit Blick auf den Fitzi und auf den Cerro Torre, der praktischerweise gleich daneben steht. Dem Leser seien an dieser Stelle Google und andere Suchdienste zur weiteren Recherche angeraten. An der eigentlichen Grenze, dem Strich in der Landschaft, 14 Kilometer nach der chilenischen Emigration, wechselte der Wanderweg in einen Trampelpfad. Durchs Gestrüpp, durch den Schlamm und über morsche Baumstämme, die über Bäche gelegt waren. Immer mit Rad und Gepäck von insgesamt 40 bis 45 Kilogramm. Schon mit Wanderausrüstung ist dieser Weg abenteuerlich, mit Rad ist er ein Kraftakt.
Einige Male, bergab, konnte man fahren, eine ausreichende Radbeherrschung vorausgesetzt. Der Autor hatte diese nur unzureichend. Bei einer der Bergabstrecken stieg er ungewollt vorne über den Lenker ab, glücklicherweise bei nur geringer Geschwindigkeit. Zudem war Uvex stärker als argentinisches Holz. Der Sturz ereignete sich circa 1,5 Kilometer vor dem argentinischen Grenzhäuschen und dem Minihafen, wo die zweite Fährfahrt beginnen sollte. Dort angekommen wollte der Autor auch gleich durch die Immigration, wobei die Wortwahl etwas irreführend ist, doch dazu gleich. Zunächst GPS anhalten; doch wo war das Navi? Der Autor hatte es verloren und vermutete beim Sturz. Also zurück zu Fuß, denn es ging steil bergauf. Adriano kam dankenswerterweise gleich mit und tatsächlich fanden wir das Ding am Orte des Sturzes.
Am Grenzhäuschen dann die Immigration: Man klopft an eine Tür mit einem handgeschriebenen Schild „Immigration“. Eine Minute lang tut sich nichts, dann öffnet sich ein Fenster. Ein netter Grenzer nimmt den Pass entgegen, kontrolliert ihn, notiert Name und Passnummer per Hand (nix PC!) in ein kariertes DINA4 Büchlein, stempelt das Dokument und gibt es zurück. Danach ging es für uns aufs Boot, das soeben angekommen war und über den Lago Desierto. Um 18:45 Uhr kamen wir nach einer halben Stunde Fahrt auf der Südseite an. Bis El Chalten waren es noch 37 Kilometer Ripio. Wir fuhren los und blieben dabei, auch wenn es drei Campings unterwegs gab. Es lief gut, es blieb hell, Adriano schmierte Käsebrote zur Stärkung (man bemerke: keine Kekse; Anmerk. Des Autors) und der Anblick der patagonischen Klassiker bei langsam untergehender Sonne war spektakulär.
Gegen 21:00 kamen wir in El Chalten, einem der Kletter- und Wandermekkas Patagoniens, an. Begrüßt wurden wir ganz „offiziell“ von einem durchgeknallten Skateboarder und ganz „inoffiziell“ an der Rezeption-Querstrich-Dem Aufenthaltsraum-Querstrich-der Küche, kurzum, dem Ort, wo man sich vor dem Wind schützt, des Campingplatzes, den wir uns ausguckten. Als wir die Tür öffneten – Vorsicht bei dem Wind!; weitere Anmerk. des Autors – starrten uns circa 30 Augenpaare ausgemergelter und nicht ausgemergelter, in Daune und Funktion gekleideter Kletterer und Wanderer an, die kurz den Blick vom Smartphone hoben. Ein Schock für den Autor nach zwei Wochen Ruhe und Einsamkeit auf der Careterra Austral. Das kann ja heiter werden!
Inge und Reiner
Hallo Christian,
hoffentlich bleibt es einigermaßen schön: Laguna de Los Tres, aber auch Lago Torre (Campeggio Agostini) mit Blick auf den Cerro Torre.
Die Weiterfahrt nach Calafate haben wir sehr, sehr stürmisch in Erinnerung!
Wenn du dann von Calafate zum Perito Moreno Gletscher radelst, bevor du vom Lago Argentino wegkommst, ist rechts die tolle Estancia El Galpon: gönn dir einen Fensterplatz und genieße das Vorbeiziehen der Eisberge. Wir sind sogar zum Abendessen wieder rausgefahren – vielleicht kannst du auch dort zelten.
In Calafate ist es schon megatouristisch – aber man kann toll vom Grill essen – all you can eat, war nach den Trails ganz ok.
Weier gute Fahrt, Inge und Reiner.
thewayishappinessblog
Hallo Inge und Reiner,
Es ist so, wie Ihr es beschrieben habt: Die beiden Lagunen waren wunderschön. Nach El Calafate herrschte Sturm. Meine Fahrt mit dem Rad zum Perito Moreno Gletscher wurde heute durch zwei Speichenbrüche gestoppt. Da werde ich wohl mit dem Bus hinfahren. Ansonsten muss ich mal gucken: weiterfahren werde ich nur mit einem neuen Hinterrad oder mit dem Bus.
Herzliche Grüße
Christian
Moritz
Tolle Bilder! Da wird man neidisch, obwohl ich mir die Strapazen vorstellen kann.
thewayishappinessblog
Hi Moritz, die Einsankeitsetappen in der Wüste und Pampa sind für den Kopf durchaus strapazierend. Körperlich ging es mir dank idealer Vorbereitung auf Malle bislang sehr gut. Im Gesamten wird es jedoch zäher. Mal sehen, was die letzten Tage bringen. Christian
don horsto
sakrament, was is denn blos mit deinen laufrädern los! dat kann ja wohl nicht wahr sein! dieser fall verlangt intensive aufarbeitung.
thewayishappinessblog
Wäre ich in den US&A, hätte ich die Firma Bontrager schon verklagt. Heute noch zwei Speichen. Es wird wohl erstmals mit dem Bus weitergehen. Liebe Grüße
Mutti
Hallo guten Morgen Christian,
hat echt Spaß gemacht Deine Reiseberichte zu lesen, schwierig nur wenn man (Mutti) von
Radreparaturen nicht viel versteht. Aber in solche Extremsituationen werde ich ja auf Grund meines
fortgeschrittenen Alters nicht mehr kommen.
Aber echt toll ! Immer wieder beeindruckt mich, daß es tatsächlich noch mehr Verrückte auf diesen
Planeten gibt..
thewayishappinessblog
Ver-rückt ist sehr relativ und alt auch. Da fahren 70jährige, manche mit dem Rennrad und einer gar mit einem Fixie!
Manu
Hallo Christian,
da geht es mir wie Deiner Mutter (beim Thema Fahrrad reparieren)- das hat nicht unbedingt was mit dem Alter zu tun… Ganz tolle Fotos, ich bin echt begeistert! Weiterhin eine gute Fahrt. LG manu
thewayishappinessblog
Fahrrad reparieren kommt von alleine: nachdem ich 10 Speichen gewechselt habe, bin ich mittlerweile richtig schnell. Ansonsten ist alles Palette. Ich höre, dass Du einen erneuten Versuch Auerbach – Wiesau starten wirst, mit Turnschuhen?!
Vera und Richard
Hey, Christian, wo waren die Pferde? Gab es welche und du hast heldenhaft widerstanden?
Ganz liebe Grüße von Vera und Richard, die immer noch in Coyhaique auf Ersatzteile warten.