Tag 2 begann mit einem gemeinsamen Frühstück mit der Backpacker Community, wovor ich mich an Tag 1 noch gedrückt hatte. Da hatte ich auch noch genügend Kekse. Fairerweise sollte ich einwerfen, dass ich mich beim gemeinsamen Frühstück auf meinen geliebten Beobachterposten zurückgezogen hatte und der Backpacker-Jugend beim Frühstück beiwohnte. Und da fiel mir dieses Schild auf, das ich an Tag 1 noch nicht hatte sehen können, da ich im Gemeinschaftsraum nicht gewesen war. Da stand also schwarz auf weiß, was ich an Tag 1 gemutmaßt hatte, aus meiner satirischen Intuition heraus. Da stand also: „Please clean your dishes. Your mother is not here to do so.“ Und natürlich auch in Spanisch. Da musste ich nicht nur innerlich breit grinsen! Aber wirklich, eigentlich sind sie ganz nett, die Backpacker. Den übrigen Tag habe ich sie leider kaum gesehen.
Da ich noch wegen des Cruce de lagos oder lake crossing, welches ich wegen des besser vorhergesagten Wetters und des Preises von 98 USD für morgen gebucht hatte, hatte ausharren müssen, hatte ich noch einen Tag zum Vertrödeln. Während gestern mein innigster Wunsch war möglichst viel Zeit in domo zu verbringen, wobei durchaus sein könnte, dass es nicht nur am schlechten Wetter, sondern auch an einer gewissen Müdigkeit meinerseits, auch wenn die Beine selbstverständlich gut gewesen wären, gelegen haben könnte, zog es mich heute wieder nach draußen. – Gestern hatte ich ja schon mit den deutschen Dichtern und Denkern eröffnet; das war jetzt zwei Thomas Mann-Sätze, die müde Leser in den Schlaf befördern können.
Ein kleiner Spaziergang bot sich an und mein GPS, im Spanischen „Chepe-esse“ ausgesprochen, wies mich gleich am östlichen Ende der Stadt auf eine gestrichelt-gezackte Linie hin, zum Cerro Otto und danach zu zwei Sonnen, welche wohl Aussichtspunkte repräsentieren sollten. Und was soll ich kurz und bündig schreiben? Grandios! Landschaftlich sensationell, was die Bilder leider nur bedingt wiedergeben.
Ein oder zwei Bemerkungen am Wegesrande hätte ich schon noch: (1) Auf etlichen Abschnitten war ich auf MTB-Downhillstrecken unterwegs. Das Spazieren war bisweilen anstrengend und froh war ich, dass keine Downhillerer unterwegs waren. (2) Begegnet sind mir die Backpacker noch dreimal: nicht auf 25 Kilometer Wanderweg. Da war niemand! Sondern auf einer Zufahrtstraße zum Berg, eingepfercht in einen Bus. Am Berg, wo sie bereits in Helm und Schutzgardarobe von einem Drillinstructor auf den wagemutigen Ropeswing eingestimmt, pardon eingeschrieen wurden (S.h. Bildmaterial). Und unten am Berg, an der Sommerrodelbahn, wie schön.
Zum Abschluss des Spaziergangs bin ich erneut im Café „Del turista“ eingekehrt. Apfelstrudel gab es heute nicht. Nach sechs Stunden Spazierens fand ich Toast mit Schinken und Käse angemessener, zumal ich versuche, mich auf Weihnachten einzustimmen.
Tag 1. Kehrtum und sofort wieder heraus, mein erster Reflex beim Eintreffen in San Carlos de Bariloche. Da waren sie, nicht vereinzelt und umweltverträglich, sondern in Heerscharen und voll bewaffnet: Wanderschuhe, Outdoor-Bekleidung, einen Riesenwanderrucksack und in Papier oder elektronisch die Bibel in der Hand, die sie „Lonely Planet“ nennen. Es versteht sich, dass die Outdoorbekleidung noch nie die Natur gesehen hat, oder nur aus dem Reisebusfenster. Spezifische Details der Spezies sind ungewaschene, verfilzte Haare, die durch eine Art Stirnband gebändigt werden, die Packungen Organic Food produced by Nestle im Rucksack, wobei man für den Produzenten ganz genau hinsehen müsste, und mannigfaltiger Holz- und Metallschmuck überall am Körper, den man auch als Siemensabfall durchgehen lassen könnte. Sie suchen nach authentischen Restaurants und Hostels, wobei „authentisch“ hier die Bedeutung „verranzt“ einnehmen sollte. Je verranzter desto besser! Dazu tragen sie aktiv bei: Die verfilzten Haare machen sich blendend im Abfluss und eine Klobürste haben sie noch nie benutzt, denn zu Hause macht Mutti die Toilette sauber. Da der Trip sponsort by Vati ist, sollen die Hostels ruhig etwas kosten.
Inmitten des Backpacker-Molochs Bariloche habe ich nun dennoch ein kleines Paradies für mich entdeckt: Das Café „Del turista“. Es scheint das Pendant zum Erlanger Café „Mengin“ zu sein. Gediegen und gepflegt. Viel Licht. Schließlich sieht die Kundschaft nicht mehr gut. Höfliche Bedienungen mit anständiger Kleidung, rasiert und ohne unnötigen Stecker in Nase und Lippe. Deutliche Aussprache, denn die Kundschaft hört nicht mehr ordentlich. Die Backpacker meiden das „rückständige“ Café, die Alten und ich schätzen es. Die Schokoladentorte und der Apfelstrudel sind hervorragend.
So komme ich bis zum Dienstag in Bariloche durch, ehe es über das Cruce de Lagos zurück nach Chile gehen soll. Dann kann ich mich noch kurz an den südlichen Seen tummeln, ehe es über Puerto Montt auf die regnerische Insel Chilhoe und schließlich auf die Careterra Austral gehen soll. Die Fähre von Quellon auf Chilhoe nach Chaiten an der Careterra habe ich vorsorglich gebucht: 22.12. um 3:00 Uhr in der Frühe. Ich freue mich auf die Abenteuerstraße.
P.S. Fähre: Es geht nicht darum, einen weiteren Radtag zu gewinnen. Die Fähre fährt im Dezember nur zweimal die Woche und zwar um die frühe Uhrzeit.
P.P.S. Bildmaterial: Auf fotografische Abbildung der Toiletten verzichtet der Autor bewusst, um dem Leser vor den heimischen Bildschirmen Übelkeitsanfälle zu ersparen.
Mutti
Ja mit verfilzten Haaren und Rasterlocken kannst du nicht mehr aufwarten, aber wie man sieht hat
das schon auch Vorteile.Du hast ja schon einen spitzigen Bleistift, so wie Du über die Backpacker lästerst.
Aber sehr amüsant. Unter welche Kategorie fällst Du eigentlich ? Weltreisender, Philosoph ?
Chrisi
Hi Christian, check mal bitte deine Emails zwecks Porcupine Paper (Ja, scheisse, die Arbeit verfolgt dich bis ins weit entfernte Chile/Argentinien, sorry!!). Und ich bräuchte noch den Namen der Ansprechperson die für deinen Dienstplan zuständig ist. Danke 😉
Und du gehörst definitiv in die Kategorie Philosoph 🙂 Hab noch eine tolle Zeit, die Hälfte hast du ja leider schon hinter dir!
LG
Chrisi
Moritz
Hallo Christian,
dass Du in die Kategorie Philosoph fällst hast Du zweifelsfrei bewiesen:-) Übrigens hat mir Deine Backpacker-Beschreibung sehr gut gefallen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Bariloche einen recht schrillen Kontrast zu Deiner bisherigen doch eher meditativen=einesamen (Du weisst wie das zu verstehen ist, ich bin mir voll bewusst wie sehr Du leidest und Dich durchbeisst. Beine, Hintern, Erschöpfung…) Reise darstellt. Weiter viel Spaß und fahr vorsichtig!
Moritz