RheumaLogisch.

Goethe hat an seinem „Faust“ über Jahrzehnte geschrieben. Mein Blog zum südamerikanischen Wind ist angesetzt und reift. – Nun gut, der Vergleich hinkt und ist vermessen. Jedoch bekomme ich das Erlebnis „Wind in Südamerika“ noch nicht in die Form, in der es annähernd meine Erfahrungen wiedergeben könnte. Gestern hatte ich wieder so eine bewegende Erfahrung, aber dazu eben ein anderes Mal.

Egal, es gibt genügend anderes Spannendes zu berichten. Vorgestern hat mich nämlich die Rheumalogie, das schett’sche Reich, quasi, eingeholt.

Der Tag begann unspektakulär. Nach der langen Etappe des Vortages ließ ich es ruhig angehen. In San Martin de los Andes, 40 Kilometer nach dem Start in Junin de los Andes, fand ich endlich einen argentinischen Bankautomaten, der auf das Einschieben meiner Kreditkarte Geld ausspuckte. Der fünfte Anlauf! Von den fast zehn Euro Gebühren pro Abheben verlier ich nun keine weiteren Worte. Jedenfalls gönnte ich mir zur Feier des Tages eine heiße Schokolade und einen Apfelstrudel im Restaurant „Unser Traum“. Und das muss man den Argentiniern lassen: Schokolade und Süßkram sind exzellent! Nur „Strudel“ aussprechen, das geht nicht.

Danach ging es weiter auf der Siete Lagos Route. Sieben große Seen auf 100 Kilometern, eingebettet in eine wunderschöne Gebirgslandschaft. Drei Tage wollte ich dort verschwenden und mir Zeit bis San Carlos de Bariloche lassen. Am Lago Falkner fand ich einen super Zeltplatz, schon gegen 15 Uhr. Der See eröffnete sich mir gen Osten, so dass ich für den nächsten Tag einen Sonnenaufgang am Wasser erwartet. Idylle.

Ins Ungleichgewicht geriet meine Egoromantik gegen 17 Uhr. Reges Treiben an der Einfahrt des kostenfreien Zeltplatzes. Ein Radfahrer, ein Autofahrer, ein großer Stein. Einige Zuschauer. Die werden doch ich!? Doch! Doch, tatsächlich versuchten die beiden eine gerissene Kette zu reparieren. Aus der Distanz beobachtete ich das Treiben entspannt, bis eine der Zuschauerinnen auf mich zukam. Ja, Kettennieter hatte ich und auch ein Kettenschloss.

Bei Ankunft am Ort des Geschehens wurde mir das ganze Ausmaß des Schreckens klar: Kette gerissen, Schaltauge verbogen, Schaltwerk verbogen. Die Kette, an sich eine Gute, eine unkaputtbare Shimano HG 8-Fach, war staubtrocken und hatte wohl über Jahre kein Öl gesehen. Die erste Kette, an der ich mir beim Anfassen nicht die Finger schmutzig machte.

Der Autofahrer, der erst den großen Stein zur Reparatur genutzt hatte, war Grobmotoriker. Ich bekam Angst um meinen filigranen Kettennieter aus dem Minitool. Ein Glück, das die vier Freunde des Radfahrers nun auch nacheinander eintrudelten und einer einen größeren Kettennieter dabei hatte. Aber auch damit war der Hebel wohl zu klein und der Autofahrer setzte am Kettennieter noch die Kombizange an.

Meine Einwände wurden überhört. Ich habe noch keine Kette mit Gewalt heile werden sehen, und das Ding wurde Stück um Stück kürzer. Zwischenzeitlich erfuhr ich, dass die fünf Jungs zwischen 27 und 29 Jahre alt waren, allesamt aus Buenos Aires kamen, sich von der Schule kannten und einen Radausflug von Angostura nach San Martin unternahmen: Die 100 Kilometer der Siete Lagos Route in sage und schreibe vier Tagen. Ich dachte mir: „Da braucht Ihr Euch keine Sorgen um die Kette machen! Da hätte ich mir auch gar kein Rad geliehen, schon gar nicht eine Foltermaschine, wie diese!“

Gerne lasse ich mich natürlich eines Besseren belehren und nie hätte ich darauf gewettet, dass der Autofahrer die Kette flicken könne. Mit Kettennieter, Kombizange und einer Portion Gewalt. Die gute Shimano HG-Kette macht eben einiges mit; meine SRAM 10-Fach wäre wohl in Stücke zerfallen. Schaltauge- und Schaltwerk, beides wohl aus Flexstahl, wurden kurzerhand noch hingebogen. Der Preis für den Erfolg war erträglich: Die Kette war nun so kurz, dass vorne nur noch auf Klein und hinten auf den kleinen vier Ritzeln gefahren werden konnte. Der Radfahrer gab zu bedenken, dass das bergauf ohne die leichten Gänge wohl problematisch werden könnte. Wo ich mir wiederum dachte: „Bergauf schieben und bergab rollt es von alleine. Wäre auch ohne Kette gegangen!“ Ein bisschen Schabernack im Kopf.

Wie dem auch sei: Der Erfolg tat der Stimmung aller gut. Der Autofahrer war auf seine heroische Tat stolz und verfiel ins Reden. Viel verstand ich nicht, besser gesagt nur „Arthritis“ und „Methotrexat“. – Und schon hatte ich Sprechstunde am Lago Falkner in Argentinien. Und um es kurz zu machen, die Rheumalogen unter den Lesern ahnen es, es war die alte Leier: „Methotrexat genommen, mal mehr mal weniger, dann Magenbeschwerden, dann nicht mehr genommen, jetzt Diätumstellung geplant, die wird es bestimmt richten, und so weiter und so fort.“ Nach der Anamnese ein paar haptologische Anwendungen, ein paar Scherze, eine Aufforderung zum Gang zum Rheumalogen – das muss hier aus formaljuristischen Gründen stehen – und alles war gut. In Argentinien, am See!

Der Abend wurde sehr nett. Die Jungs blieben am Zeltplatz. Sie wirkten unbeholfen und nicht so gewieft wie meine chilenischen Angelfreunde. Schließlich waren es ja fünf Akademiker. Ihr Reisemodus war ein anderer als der meine. Zeltaufbau, Fische fangen und Kochen über Feuer nahm ein paar Stunden in Anspruch. Da hätte ich wohl meine Hitechausrüstung fünfmal auf- und abgebaut und fünf Kilogramm Nudeln gekocht. Ein wenig neidisch war ich ja schon, auch wenn ich genau wusste, dass das nicht mein Reisetempo wäre.

Eine wichtige Information hatten die Jungs noch für mich. Anstatt in zwei Tagen, entsprechend des Wetterberichtes des Vortages, sollte noch in derselben Nacht Regen aufkommen. Mein Zelt stellte ich daher in die zweite Reihe am See unter einen Baum, und die geplanten zwei Etappen für die beiden folgenden Tage legte ich zusammen. Im Gesamten waren das nur 160 Kilometer und Zelten im Regen an den Seen ist nicht erquickend.

Am nächsten Morgen „ninkelte“ es dann ordentlich und viel Wind kam auf. Aber what the f*** is ninkeln? – Schabernack im Kopf bei zuviel Sonne, viel zuviel Sonne in den letzten Wochen. Sowie „pieseln“ zu „pinkeln“ wird, wird „nieseln“ zu… Goethe dreht sich soeben im Grabe um.

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