Trostpreis.

Der freundliche Rezeptionist in Innsbruck rät Ch. Beyer, er möge lieber im Iran Urlaub machen. Er glaube, dass Italien nicht sicher sei und er mache lieber in Deutschland Urlaub oder in seinem Heimatland Iran. Dem möchte Ch. Beyer nur partiell zustimmen: In der Tat wird der Iran in den Radreiseforen immer aufs Höchste gelobt. Die Gastfreundschaft dort muss unglaublich sein. Und dementsprechend steht das politisch häufig kontrovers diskutierte Land durchaus noch auf Ch. Beyers „bucket list“. Doch auch Bella Italia ist immer eine Reise Wert und bleibt weiterhin einer der Favoriten von Ch. Beyer, auch wenn ihm dort soeben das Rad samt Gepäck gestohlen worden war. Wer weiß: Vielleicht war es ja auch ein iranischer Auswanderer oder ein Deutscher. Wer weiß das schon!

Sie können aber nun durchaus erkennen, liebe Leserinnen und Leser, dass Ch. Beyer auf seiner Zug-Odyssee von Pigna nach Erlangen in Innsbruck Halt gemacht hat, um dort die Nacht zu verbringen. Diese letzte Etappe am ersten Heimreiset sollte schlussendlich gut klappen: Die Züge in Verona und Bozen fuhren pünktlich ab und kamen pünktlich an. Und nach einer kurzen, aber geruhsamen Nacht ging es dann am Folgetag komplikationslos von Innsbruck nach Hause nach Erlangen.

Nun wäre zu erwarten gewesen, dass das Abenteuer vom gestohlenen Fahrrad hier ein Ende nahm. Dem war aber nicht so. Zwar kann Ch. Beyer nicht behaupten, dass es nun erst richtig losging, doch der Spannungsbogen flachte vorerst nicht ab. Noch am Ankunftstag besuchte Ch. Beyer das Bürgeramt, um einen neuen Personalausweis zu beantragen. Jawohl, auch dieser war im Gepäck am Rad gewesen! Nachdem Ch. Beyer pünktlich zur Mittagspause am Bürgeramt erschien und vor ihm eine Gruppe internationaler Studentinnen und Studenten mehrere Tickets zogen, war die Wartezeit leider auch lang. Ch. Beyer nutzte die Gelegenheit und telefonierte mit dem Verkehrsclub Deutschland (VCD), der grünen Alternative zum ADAC, um neben dem Autoschutzbrief einen Fahrradschutzbrief zu beantragen. Da er selbst kein Auto besitzt und zumeist mit dem Velo unterwegs ist, war der Fahrradschutzbrief überfällig, zumal er gerade einmal 9 Euro per anno kostet. Klar würde Ch. Beyer nicht alle Optionen eines Fahrradschutzbriefes ausschöpfen können, aber die Unterstützung in der Planung und einer Finanzierung einer Rückreise war nach der zurückliegenden Zug-Odysee ein allzu verlockendes Angebot.

Als Ch. Beyer am Bürgeramt schließlich an der Reihe war, wurde von einer netten, aber bestimmten Mitarbeiterin der Stadt Erlangen zunächst einmal belehrt, dass er schon längst eine Verlustmeldung für den verlorenen Personalausweis hätte machen müsse. Für die Beantragung derselbigen benötige sie das Polizeiprotokoll aus Pigna, was Ch. Beyer natürlich nicht dabei hatte. Doch hatte er auf seinem Smartphone eine Kopie vom Protokoll. Doch was für Ch. Beyer eine gute Lösung war, war für die Mitarbeiterin der Stadt zunächst ein großes Problem. Sie bestand auf das Original, aber Ch. Beyer wollte nicht nochmals zwei Stunden warten, nachdem er das Original von zu Hause geholt hätte. Also überzeugte er die nette, aber bestimmte Frau, dass er ihr das Dokument per Email schicken könne. Sie benötigte ein PDF, doch Ch. Beyer hatte nur ein JPEG und die App aus dem AppStore zum Umwandeln von JPEG in PDF wäre kostenpflichtig gewesen. Also verschickte Ch. Beyer das JPEG, welches auch unmittelbar bei der netten, aber bestimmten Mitarbeiterin des Bürgeramts ankam. Ch. Beyer konnte nur mutmaßen, dass die Stadt Erlangen einen PDF-Writer für ihre Arbeitsplätze zur Verfügung stellte; Die nette, aber bestimmte Mitarbeiterin kannte diese Funktion jedoch nicht. So führte der Ausdruck des JPEGs dazu, dass das Dokument in Vierteln über vier Seiten aus dem Drucker kam. Zum Glück änderte die nette, aber bestimmte Frau von der Stadt zu diesem Zeitpunkt ihr Vorgehen. Das Dokument aus Pigna war plötzlich doch nicht mehr wichtig und es ging nun auch ohne. Also beantragte sie für Ch. Beyer eine Verlustmeldung, einen neuen Personalausweis, einen neuen Reisepass, denn dieser war auch abgelaufen, und einen vorläufigen Personalausweis, damit sich Ch. Beyer bis zum Erhalt des eigentlichen Personalausweis ausweisen konnte. Zum Glück, so konnte Ch. Beyer nun feststellen, war es den Polizisten in Pigna egal, dass Ch. Beyers Reisepass schon über ein Jahr abgelaufen war, oder sie hatten es schlichtweg nicht bemerkt. Andernfalls hätte er vermutlich auch noch ein größeres Polizeirevier in Italien oder gar die deutsche Botschaft besuchen müssen.

Am Folgetag ergab sich Wundersames: Il Commandante der Polizei von Pigna schrieb: Sie hätten Ch. Beyers Fahrrad gefunden. Mit der Email kam ein Foto, auf dem tatsächlich Ch. Beyers Trek Hardtail zu erkennen war.  Nur alle Taschen, die Lichter und das Gepäcksystem waren abmontiert und laut Polizei nicht auffindbar. Die Polizisten hatten Ch. Beyer drei Tage vorher noch vor Ort versprochen, dass sie sein Velo finden würden. Das Versprechen hatten sie fürs Gepäck nicht gegeben. Ob sie eventuell eine Ahnung hatten, wo sie haben suchen müssen, wunderte sich nun Ch. Beyer. Doch egal, das Velo war wieder da! Und das gesamte Dorf Pigna wusste auch sukzessive Bescheid. Zwei Tage nach der Email von Il Commandante schrieb der Wirt von der Bar, vor der das Rad gestohlen wurde, dass er gehört habe, dass das Velo wieder aufgetaucht sei. Zwei weitere Tage später meldete sich Fiorella, die auch gleich anbot, das Fahrrad bei sich aufzubewahren, falls Ch. Beyer es nicht gleich hätte abholen können.

Und tatsächlich stellte das Abholen Ch. Beyer vor neue Herausforderungen. Von Erlangen nach Pigna sind es bei guter Verkehrslage 1000 km und zwölf Stunden mit dem PKW. Mit dem Zug ist es ähnlich weit, nur dauert die Anfahrt je nach Verspätungen eher eineinhalb Tage. Was gab es für Optionen? Ch. Beyer würde mit der Göttergattin noch den geplanten Urlaub am Zielort des Alps Divide, nämlich Thonon-les-Bains, verbringen. Doch auch von dort aus waren es noch über sieben Stunden Autofahrt. Der nächste längere freie Zeitraum, an dem Ch. Beyer nach Italien düsen könnte, wäre erst Weihnachten und Neujahr gewesen, circa vier Monate später; eine frühere Option bot Ch. Beyers Dienstplan nicht, zumal die Abholzeiten vor Ort, nämlich zwischen 11:00 und 13:00 Uhr, das Abholen erschweren würden. Ein Hoffnungsschimmer ergab sich bei einem Freund, der anbot, dass er das Rad eventuell Ende Oktober mitnehmen könnte, wenn er in Finale Ligure zum Mountainbiken sei. Nur versprechen konnte er es noch nicht.

Die Kommunikation mit der Polizei in Pigna war auch eher stockend, wobei es sich zugegebenermaßen nicht um den Customer Service von Amazon handelte. Die Beamten antworteten auf Ch. Beyers Anfragen spät und eher knapp. Dass ihnen das Abholen um Weihnachten bzw. Neujahr zu spät ist, gaben sie Ch. Beyer aber klar zu verstehen. Übrigens, die Möglichkeit eines Transportes mit einer Spedition hatte Ch. Beyer von vorne herein als unwahrscheinlich erachtet und daher gar nicht erst angefragt: So flexibel schätzt er die Polizei von Pigna nicht ein, auch wenn er natürlich sehr froh war, dass sie sein Velo gefunden und sichergestellt haben.

Der ursprüngliche Plan beim Alps Divide war, dass die Göttergattin Ch. Beyer nach  der Veranstaltung am Genfer See abholen kommt und die beiden dort noch einige Tage Urlaub machen. Auch wenn der Alps Divide für Ch. Beyer rasch zu Ende war, wollten die beiden sich den Urlaub am Genfer See nicht nehmen lassen. Zudem wollte Ch. Beyer auch bei der Alps Divide Finisher Party vorbeischauen, um einen Eindruck zu bekommen, wie es den anderen erging.

Da sich Ch. Beyer gut ein Dreivierteljahr auf den Alps Divide vorbereitet hatte, bestand durchaus noch eine persönliche Notwendigkeit, etwas Energie „rauszulassen“. So beschloss Ch. Beyer kurzfristig, trotz schlechten Wetters von Erlangen zum Genfer See zu radeln. Da die vorangegangenen, abenteuerlichen Tage ein paar Spuren hinterlassen hatte, wollte Ch. Beyer ab Ulm über zwei Tage nach Thonon-les-Bains radeln.

Die Züge von Erlangen nach Ulm, das möchte Ch. Beyer rühmlich hervorheben, waren pünktlich. Danach ging es zunächst einmal langweilig flach gen Schweiz. Ein kleines Highlight war der Besuch einer Bäckerei im Schwäbischen, wo sich die Verkäuferin und eine Kundin darüber amüsierten, dass Ch. Beyer nach Käsestange, Käsekuchen und Obstkuchen vor Ort noch Laugenstange, Knusperstange, Brioche und Schokocroissant für unterwegs bestellte und beim Herausgehen aus der Bäckerei schon wieder die Laugenstange im Mund hatte. Weitere Highlights waren die Passage des Bussens, einem kleinen Vulkankegel mit Kloster und Burg, wo Ch. Beyer mit L. Schmidt vor wenigen Jahren eine Nacht unter freien Himmel verbracht hatten, und dem kleinen Ort Fützen, nahe der Schweizer Grenze, wo die beiden Leberkäsebrötchen frühstückten. Es war damals ihre erste klassische Bikepacking-Tour. Bei Fützen, in der Region zwischen Deutschland und der Schweiz, wurde es landschaftlich richtig schön, so dass Ch. Beyer einen langen Tag auf dem Rad kurz vor Dunkelheit in einem kleinen Ort nahe Waldshut-Tiengen ausklingen ließ. Eigentlich wollte Ch. Beyer noch 40 km weiterradeln, aber der nasse Westwind bremste sowohl Tempo als auch Elan.

Das Wetter des nächsten Tages war noch schlechter als das am Vortag. Temperaturen weit unter 10 Grad Celsius und immer wieder Regen. Die Landschaften in der Schweiz, durch die Ch. Beyer radelte, waren hingegen sehr schön. Zum Glück kam immer wieder die Sonne durch. Circa 100 Kilometer vor dem Ziel fing die Göttergattin Ch. Beyer mit dem Auto ab und packte ihn ein, damit die beiden nicht zu spät am Zielort Thonon-les-Bains ankommen würden.

Dort klarte das Wetter am Folgetag auf, was einem trockenen, aber kalten Ostwind zu verdanken war. Die Göttergattin musste nun auch ran, damit Ch. Beyer zumindest einige der verpassten Kilometer und Höhenmeter nachholen konnte. Die Gegend um die Genfer See ist beeindruckend schön und bestens geeignet, um sie mit dem Velo zu erkunden.

Am zweiten Abend gab es für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Alps Divide eine Finisher Party. Ch. Beyer hatte dort ja eigentlich nichts zu suchen, da er weder den Alps Divide noch die Anreise nach Thonon-les-Bains erfolgreich beendet hatte. Doch wollte er wissen, wie die Stimmung war, nicht zuletzt weil die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Alps Divide mit harten Wetterbedingungen zu kämpfen hatten: Monsunartige Regenfälle an manchen Tagen, Temperaturen von -8°C mit Windstärke 100 km/h am Colle de Sommeiller, dem höchsten Punkt der Route, an anderen Tagen und schließlich Schneefälle bis 40 cm an weiteren Tagen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten viel zu berichten. Und hierbei wurde Ch. Beyer das erste Mal wehmütig, dass er ein tolles Fahrradabenteuer verpasst hatte.

Mit den beiden Organisatoren, Katie und Lee, sprach Ch. Beyer länger. Zunächst konnten die beiden seinen Namen nicht mehr mit dem gestohlenen Fahrrad assoziieren, zu viel war während der vergangenen Woche passiert: Katie und ihre Mutter, eine weitere Unterstützerin des Events, hatten pro Nacht nur zwei Stunden Schlaf und tagsüber jede Menge Stress. Sie waren stetig damit beschäftigt, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicher durch die Berge zu bringen. Doch als Ch. Beyer erzählte, dass er derjenige war, der sein Velo verloren hatte, wussten sie wie auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sofort Bescheid. Katie erzählte, dass sich bereits viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer erkundigt hatten, was denn aus Ch. Beyer geworden sei und sie bat Ch. Beyer im Verlauf des Abends, seine Geschichte zu rekapitulieren. Ferner erzählte sie, dass Ch. Beyer nicht das Erste, sondern das Zweite Sorgenkind des Alps Divide gewesen sei: Einer der Teilnehmer sei wohl kurz nach dem Start mit einem motorisierten Fahrzeug kollidiert. Aus dieser Perspektive hatte Ch. Beyer fast ein wenig Glück gehabt!

Bei der Siegerehrung wurden zunächst die beiden Schnellsten für ihre heroischen Leistungen beim Alps Divide geehrt. Beide erhielten einen große Kuhglocke, sowie sie in den Alpen an Almtiere gebunden wird. Und dann gab es noch vier kleine Kuhglocken, nämlich für die besten Geschichten, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erlebt hatten. Und liebe Leserinnen und Leser, sie können sich vorstellen, dass Ch. Beyer und seine Geschichte hier geehrt wurden. Super Sache nicht wahr, auch wenn sich Ch. Beyer wunderte, für was er eigentlich den Preis bekam. Denn eigentlich war er nur Beifahrer: Er hatte für den Preis ja nichts getan. Gestohlen hatte das Rad jemand anderes, Unterstützung in Pigna erhielt er von anderen, und das Velo wurde auch von anderen wieder gefunden. Ch. Beyer erhielt also einen Preis fürs Nichts tun, was für ihn auch eine neue Erfahrung war.

Vielleicht, liebe Leserinnen und Leser, fragen Sie sich, für welche Geschichten die anderen Preise vergeben wurden. Und tatsächlich handelte es sich hier um weitere, tolle Stories: Ein Velofahrer erhielt eine Kuhglucke dafür, dass er, nachdem die Regenschauer seine Lampe ertränkt hatten, den Col de la Bonnette mit der Handylampe im Mund abfuhr. Der nächste Teilnehmer wurde dafür belohnt, dass er sein Fahrrad Stunden lang durch bis 40 cm hohen Schnee schob und die nachfolgenden Fahrer warnte, dass dies nicht nur ein Sinn freies, sondern vielleicht auch ein gefährliches Unterfangen ist. Katie und Lee passten die Route hierauf kurzfristig an. Die letzte Geschichte handelte von einem britischen Mitfahrer, der feststellen musste, dass sein leichtes Gravelbike für die harte Strecke ungeeignet war. Er kaufte sich kurzum in einem Radladen in Frankreich ein Mountainbike und ließ sein Gepäck daran montieren, nur um kurz danach festzustellen, dass die schweren Downhill-Schlappen am Mountainbike das Vorankommen auch erheblich beeinträchtigten. Im nächsten Ort ließ er diese auf CrossCountry-Reifen wechseln.

Selbst wenn Ch. Beyer der Finisher Party wehmütig beiwohnen musste, kristallisierte sich dennoch ein relevanter positiver Aspekt aus der Geschichte heraus. Ch. Beyer bezieht sich nur allzu gern auf Paul Watzlawicks Anleitung zum Unglücklichsein, wo der Autor feststellt, dass ein Weg unglücklich zu werden ist, Dinge zu Ende zu bringen. In Sinne des „unfinished Business“ bleibt Ch. Beyer gar nichts anderes übrig, als nächstes Jahr wieder anzurücken. Den Veranstaltern Katie und Lee versicherte er für 2025 dementsprechend seine Teilnahme.

Übrigens, wie es mit Velo in Pigna weitergehen wird, so wird Ch. Beyer Sie, liebe Leserinnen und Leser, gerne auf dem Laufenden halten. Und sollte irgendjemand von Ihnen in den nächsten Monaten in der Region Côte-d’Azur Urlaub machen, dann: MELDEN… Bitte!

 

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