Fluch und Segen.

Fluch und Segen. Gwerch und Füchung. Yin und Yang. Schon wieder dieses besch*** metallische Geräusch. Schon wieder Speichenbruch. Dieses Mal auf gemäßigter Etappe, 90 Kilometer, 1000 Höhenmeter, Fahren mit Kadenz. Dieses Mal Nichtantriebsseite. Da habe ich keinen Ersatz dabei, nur für die Antriebsseite. Gestern in Castro hätte es einen großen Radladen gegeben. Wie wird das in Quellon aussehen? Umdrehen oder weiterfahren? Jetzt bin ich genau auf halber Strecke.

Tief durchatmen und pressen. Oder nein, dass ist das falsche Programm. Tief durchatmen und eine Packung Keckse essen. Mmpf, mmpf, mmpf. Was der Zucker im Kopf nicht alles anstellt: Beim letzten Speichenbruch wurde es ja ganz spannend. Also weiterfahren. Im Zweifelsfall kannst Du morgen nochmals zurück. Nichtantriebsseite ist eh nicht so wichtig. Das Rad eiert kaum. Man könnte wohl jede zweite Speiche auslassen. Also weiter zur Hospedaje Familiar El Sueno.

Dort angekommen schildere ich meine Sorgen noch ehe ich das Zimmer beziehe. Theo, der Bruder der Besitzerin, nimmt sich meiner an. Es gäbe hier keinen Radladen, höchstens einen Typen, der Räder repariert. Sein eigenes Rad würde er dort nicht hingeben. Gut, ich bräuchte ja nur die Speiche und einen großen Schlüssel für meinen Ritzelabzieher. Nach etwas hin und her brechen wir auf. Ich denke, es geht zum Radschrauber, doch es stellt sich heraus, dass wir zu Theos Haus gehen. Dort kramt er ein Laufrad heraus und möchte es mir schenken. Jedoch leider 26 Zoll und ich benötige 28 Zoll. Naja, dann muss ich wohl doch morgen nach Castro.

Auf dem Weg nach draußen frage ich Theo nach einem Maßband, um die Speiche auszumessen. Ausgebaut hatte ich sie schon. Nach dem Bruch mit etwas verbleibendem Gewinde 284 mm. Wie? Kann nicht sein! Ich hätte mehr als 290 mm erwartet. Das war die Länge für die Antriebsseite. Und die Nichtantriebsseite muss länger sein, außer…?!

Theo kann ich meine Gedanken gerade nicht klar machen. Radtechnik in Spanisch: Dieses Kapitel hatte ich noch nicht auf Babbel.de. Macht nichts. Er fragt mich, ob ich Lachs möchte. Da sage ich nicht nein und er drückt mir geschätzt 1,5 Kilogramm filetierten Fisch in die Hand. Was ich nun genau damit soll, ist mir noch nicht klar. Ich kenne ja nur den geräucherten aus dem Supermarkt. Doch mal abwarten.

Zurück an der Hospedaje gehe ich sofort meiner Vermutung nach. Und tatsächlich: Die Felge ist azentrisch, so dass die Speichen von Antriebs- und Nichtantriebsseite gleich lang sind. Und eine 290 mm Ersatzspeiche habe ich noch. Fehlt nur noch der Schraubenschlüssel für den Abzieher. Wir ziehen wieder los, um einem zu kaufen. Ich hatte meinen aus Gewichtsgründen zu Hause gelassen. Nach dem zweiten Speichenbruch am Hinterrad schlug ich Theos Angebot aus, mir seinen kurz zu borgen, sondern kaufte so ein Ding. Das Gewicht war mir nun egal. Die Speiche war schlussendlich schnell gewechselt.

Fabiola, die Besitzerin, hatte da weitere gute Nachrichten für mich. Sie würde mit Jorge, ihrem Mann morgen nach Castro fahren und sie könnten mich mitnehmen. Das ist klasse, denn dann kann ich neue Ersatzspeichen besorgen. Bei dem aktuellen Verschleiß und 1 Radladen auf den nächsten 1000 Kilometern Ripio finde ich das eine ausgezeichnete Idee. Meine Fähre am 22.12. um 3 Uhr morgens kann mich mit einem intakten Rad nach Chaiten befördern, wo für mich die Careterra Austral starten wird.

Wäre da noch der Lachs. Nach Käse und Brot war ich schon satt. Doch der Fisch war nun aufgetaut. Zum Glück nahmen sich Fabiola und Jorge des Kochens an, und als Sie mir ein Stück des Fisches in Gemüse auftischten, den Ganzen wollte ich nicht, sah das super aus und schmeckte sehr lecker. Also richtig lecker! Ein wenig später würde mir Jorge verraten, dass er 22 Jahre lang als Koch gearbeitet hatte. Da gingen mir einige Lichtlein auf: die guten Pfannen und Messer, Aussehen und Geschmack des Fischgerichtes, claro! Nur, dass er auf dem Holzofen kochte, und nicht auf Gas, das kam mir Spanisch vor. Nachgefragt hatte ich nicht, denn Spanisch verstehe ich so schlecht.

 

 

9 Comments

  1. Stefan K.

    Tapfer, Christian, mit Ausnahme Deiner Speichen Probleme scheinst Du ja „im flow“ zu sein. Viele tolle Eindrücke und wenig Materialverschleiß wünsch ich Dir. Falls Du vorher nicht mehr on bist – frohe Weihnachten, möglichst nicht in der Wüste alleine sondern bei Fisch, Wein und whateverelse 😉

    • Herzlichen Dank, lieber Stefan. Weihnachten mit Claudia und Severin aus der Schweiz ist sehr schön. Und Claudia ist eine gute Köchin. Nur drei Flaschen Wein für uns drei (also eine pro Person, nicht drei?) Hat mich ein wenig aus dem Konzept gebracht. Frohe Weihnachten, Christian

  2. benno k.

    heute abend tagen die chefärzte und professoren – die beteiligung wird sehr gering sein jedoch werden wir deine abenteuer sicherlich thematisieren was die qualität des zirkels interdisziplinär sicherlich extrem steigern wird. happytimehighfive!

  3. Inge und Reiner

    Feliz Navidad in einer wahrscheinlich sehr deutschen Umgebung in Puyuhuapi.
    Wie soll es weiter gehen? Gehst du zum Ventisqiero Colante? Bei gutem Wetter ist er absolut empfehlenswert. Nach Puerto Cisnes (Hauptstadt des Fisches) muss man nicht unbedingt fahren, wir haben dort weder ein Fischrestaurant noch einen Geldautomaten gefunden.
    Weiter gute Fahrt.
    Reiner und Inge

    • Feliz navidad, liebe Inge und lieber Reiner. In der Tat möchte ich, vielleicht gar heute, den Ventisquero colgante sehen. Eine Nacht habe ich noch in der Casa Ludwig, aber wahrscheinlich mache einen Tagesausflug und fahre dann morgen durch. Jetzt kommt viel Baustelle, aber an den Feiertagen wird da hoffentlich Ruhe sein. Puerto Cisnes wollte ich nicht besuchen. Vor Coyhaique gibt es eine östliche Variante mit Ripio und eine westliche auf Teer. Meine beiden Schweizer Freunde empfehlen die östliche Variante. Wenn keine weiter Speiche bricht, dann werde ich diese auch fahren. Frohe Weihnachten, Christian

      • Inge und Reiner

        Hallo Christian, wir sind auch östlich gefahren, über Ortega. Landschaftlich toll, wenig Verkehr, keine LKWs, nur ‚Anlieger‘. Wir sind dann über den Lago General Carrera übergesetzt (13 Uhr, man kann das Ticket schon am Vorabend kaufen). In Ibanaz und auch Chile Chico ist es fast immer sonnig schön mit Palmen. Die Faht am See lang von Chile Chico ist auch sehr aussichtsreich und ohne Asphalt. Wenn du nicht über Chile Chico fährst sind die Marmorhöhlen bei Bahia Manza, kurz nach Puerto Tranquilo ein absolutes Muss. Bei schönem Wetter lohnt auch der Abstecher nach Valle Exploradores und der Blick auf den Gletscher. Sonst bietet sich auch noch der Rio Delta O el Leon an – da kann man einige Kilometer reinfahren und am Lago Leones zelten und hat einen tollen Blick auf den Cerro Mocho.
        Wie auch immer, wir wünschen dir tolles Wetter und gute Fahrt! Inge und Reiner.

  4. Peter

    Frohe Weihnachten wünsch ich Dir, Christian!

    Du brauchst übrigens nicht unbedingt die passenden Speichen. Im Notfall nimmst Du zwei Speichen (beliebiger Länge), die eine in die Felge, die andere in die Nabe und verdrillst die beiden dann mit ner Zange oder Ähnlichem. Anschließend kannst Du die selbstgebastelte Speiche mir einem Nippelspanner fein justieren. Gunther hatte in einem seiner Räder drei solcher selbst gebastelten Speichen ganz normal drin, einfach weil er keine passenden da hatte und ist das Rad ganz normal im Alltag gefahren.

    • Herzlichen Dank, lieber Peter. Auch Isabel und Dir wünsche ich schöne Festtage! Den Speichentrick von Gunter hattest Du mir schon einmal verraten und ich habe ihn mir sehr gut gemerkt. Zwei Ersatzspeichen von mir sind ein wenig zu lang, das heißt, er könnte tatsächlich zum Einsatz kommen. Vorgestern riss die dritte Speiche. Wenn die Balance in einem Laufrad verloren ist – und ganz so gut kriege ich die Speichenspannung ohne Hilfsmittel und teils mit anderen Speichen nicht hin – kann durchaus noch die ein oder andere Speiche den Geist aufgeben. In Coyhaique in 200 Kilometer hoffe ich nochmals auf Nachschub. Mal sehen. Liebe Grüße in die Heimat, Christian

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