Watt.

In Chile waren es Speichen, in Frankreich sind es Gaskartuschen mit Schraubverschluss. Irgendetwas geht auf einer längeren Reise wohl immer aus; irgendetwas sucht man immer. Und wenn man keine feste Adresse hat, dann ist der große Gemischtwarenhändler mit dem Anfangsbuchstaben „A“ auch nicht hilfreich.

Ch. Beyer war sicher davon ausgegangen, dass die beiden angebrochenen Gaskartuschen noch Wochen hätten halten können, zumindest nach seinen Erfahrungen aus Chile. Hätte – hätte – Fahrradkette. Außer Betracht gelassen hatte Ch. Beyer nämlich, dass er in Chile stets nur abends den Camping-Kocher anwarf für Pasta y Arroz, also Pasta und Reis. Penibel hatte er damals auch die Kochdauer der Produkte im Supermarkt studiert und stets diejenigen ausgewählt, die die kürzeste Zubereitungszeit vorzuweisen hatten und damit am wenigsten Gas verbrauchten. Bei der Pasta waren es 6 min, beim Reis ein wenig länger. Den Sud verwarf Ch. Beyer damals übrigens auch nicht, zumindest in der trockenen Atacama: Zu beschwerlich war es, all das Wasser auf dem Rad mit herumzuschleppen.

In Frankreich ist es nun alles anders. Dabei gelten aber keineswegs lineare Beziehungen. Nachdem die Göttergattin mit auf Reise ist, so könnte man meinen, würde die doppelte Menge an Gas notwendig werden. Doppelte Portionen, also doppelte Menge Gas. Jedoch, liebe Leser, müssen Sie einige paradoxe Beziehungen erwägen: Also, die Portion Pasta oder Reis am Abend in Chile dürfen Sie zunächst halbieren. Ch. Beyer und die Göttergattin wären nämlich beim letzten Abendessen in Frankreich beinahe an 250 g Pasta gescheitert. In Chile wäre das nur eine Vorspeise für Ch. Beyer alleine gewesen. Üblicherweise schob Ch. Beyer zu 500 g Pasta nochmals 250 g Reis hinterher. Ein unglaublicher Energieumsatz war das damals.

Und dennoch, um zurück zum Gas zu kommen, stieg der Verbrauch während der Frankreich Reise nun erheblich an. Wie kann das sein? Wohin verschwindet all das Camping-Gas? Nun ganz einfach: In den Kaffee zum Frühstück, auch wenn er nur in einem kleinen Expressokocher zubereitet wird; in das Ratatouille zum Abendessen, auch wenn es nur in der kleinen Pfanne gekocht wird; in den Schuss warmen Wassers für die Katzenwäsche, auch wenn es pro Wäsche auch wirklich nur ein Viertel Liter kochenden Wassers ist. In Franken würde man sagen: Des läpperd sich – auch wenn Ch. Beyer nach der französischen Übersetzung noch sucht. Im Gesamten ist der Gas-Verbrauch jedenfalls viel höher als auf Radreise in Chile – wenn auch viel weniger, als er zuhause wäre, würde man all die aufgebrachte Energie in Gaskartuschen umrechnen.

Im Glauben, dass die beiden angebrochenen Gaskartuschen ewig halten würden, hatte Ch. Beyer den Gaskocher seiner Schwester und den Elektrokocher seines Nachbarn lieber zuhause gelassen. Außerdem sollte es im gelobten Land kein Problem sein, Nachschub zu finden. Nun ja, sollte!

Die Suche nach Schraubkartuschen für Ch. Beyers Kocher gestaltet sich schwierig. Aus dem guten, alten Radreiseforum wusste Ch. Beyer, dass der Decathlon eine sichere Quelle sein sollte. Nun ja, sollte! Prinzipiell gab es beim nächstgelegenen Decathlon ein Fach, auf dem Stand: Cartouche à viz. Und es wurden auch zahlreiche Kocher für Schraubkartuschen angeboten. Doch die Kartuschen waren aus. Lediglich Stechkartuschen waren vorrätig, aber keine Kocher für Stechkartuschen. Man versprach Ch. Beyer Nachschub in den folgenden beiden Tagen. Jedoch stellte sich zwei Tage später heraus, dass die erste Verkäuferin wenig Ahnung hatte und Gaskartuschen im Wintersortiment nicht vorgesehen sind. 

Soweit, so gut. Klingt weiter nicht schlimm, aber diese Tatsachenschilderung gibt  leider nicht die Dramatik wieder, die sich während der Jagd nach Gaskartuschen abspielte. Zweimal musste die Göttergattin ein extra Schleifchen am Ende der Radausfahrt drehen, denn der Decathlon lag gute fünf Kilometer und einige zusätzliche Höhenmeter vom Campingplatz entfernt. Und dann eröffneten die Verkäufer am Samstag Nachmittag um 16:00 Uhr, dass es die nächsten Monate keine Kartuschen im Sortiment geben werde. Als ob die keine radelnden Lebensgefährtinnen hätten, die ohne eine Gesichtswäsche mit warmen Wasser und eine warme Mahlzeit den Tag nicht überstehen könnten! 

Auch unabhängig vom Kartuschenproblem war Ch. Beyer vom hochgelobten Decathlon bitter enttäuscht. Viel Raum mit wenig Inhalt. Viel heiße Luft, wie in der Politik. Aber kein Raum zum Stöbern, kein Ort zum Eintauchen, kein Platz zum Innehalten. Ungemütlich, optimiert, kommerziell. Kein Vergleich zu den kleinen und feinen Outdoorläden, wie der von Jutta und Tom in Erlangen: Die doppelte Ware auf einem Viertel der Fläche. Alles Essentielle vor Ort. Kompetenz und Freundlichkeit. Da geht Ch. Beyer das Herz auf.

Natürlich, liebe Leser, Sie ahnen es. Ch. Beyer muss ja allmählich zum Punkt kommen. Die Göttergattin wartet schon seit einer Stunde im kalten Schlafsack: „Wenn Du glaubst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“ Ein junger Decathlon-Verkäufer, noch unverbraucht, gab Ch. Beyer den Tip, im nahe gelegenen Carrefour nachzusehen oder im weiter entfernt liegenden Le vieu Campeur. Im Riesen-Carrefour auf der anderen Straßenseite hatten Ch. Beyer und Göttergattin schon zwei Tage zuvor geguckt: Negativ! Der alte Camper hingegen, 10 Kilometer vom Campingplatz entfernt bot tatsächlich noch eine Option. Doch die Zeit drängte: Samstag 16:30 Uhr, Ladenschluss um 19:00 Uhr, Sonntag geschlossen, Sonntag zudem Weiterfahrt mit dem Birdmobil. Die Göttergattin beschloss am Camping-Platz das Abendessen vorzubereiten und gab Ch. Beyer freie Fahrt für die potenzielle Rettungsaktion.

Und liebe Leser, das war tatsächlich toll! Die Kilometer rauschten dahin; mit 35 km/h auf dem Radreisepanzer. Die Zeit drückte mit aufs Pedal. Und während Ch. Beyer dahinraste überkamen ihm plötzlich zahlreiche Fragen: Sind die Gaskartuschen überhaupt nötig? Könnte Ch. Beyer nicht mit seinem SON-Nabendynamo ausreichend Strom zum Kochen erzeugen und am Besten auch noch für die mobile Kühlbox, die Tags zuvor innerhalb weniger Stunden die ganze Solarzelle ausgesaugt hat? Wieviel Strom kommt eigentlich aus dem SON? Und wieviel Energie verbrauchen Camping-Kocher und Kühlbox?

Nun gut, Endorphine induzieren mitunter eine ordentliche Blauäugigkeit. Schon Robert Förstermann, Bahnradsprinter mit Monsteroberschenkeln, wäre in der Toaster-Challenge fast daran gescheitert, einen Toaster mit Beinmuskelkraft zu betreiben. Förstermanns Leistung in den Pedalen über circa zwei Minuten: 1000 Watt!  Liebe Leser, Sie können es in den YouTubes dieser Welt nochmals anschauen. Jedenfalls würde Ch. Beyer an guten Tagen in der gleichen Zeit durchschnittlich 400 bis 500 Watt schaffen, einmalig! Der SON-Nabendynamo liefert für Licht oder USB circa 3 bis 5 Watt, soweit sich Ch. Beyer richtig erinnert. Der Gaskocher macht bei Vollgas 2700 Watt und auf halber Flamme immer noch 1350 Watt. Und das Wasser braucht schon wenige Minuten bis es kocht. Ein Wahnsinn, nicht wahr? Und dabei haben wir die Kilowatt des Birdmobils noch gar nicht in Bezug gestellt. Zuhause ist das dann alles noch viel mehr: Zwei oder dreimal am Tag Kaffee, warmes Mehrgängemenu und ausreichend warmes Wasser zum Duschen. Der Kühlschrank voll, immer, und die Wohnung wohlig warm. Und an seine Arbeit im Krankenhaus möchte Ch. Beyer diesbezüglich gar nicht denken: Wie viele Gaskartuschen wären täglich nötig. Wie viele Förstermanns oder Ch. Beyers müssten sich abstrampeln? Und natürlich stellt sich nun einmal mehr die Frage, was davon sein muss und was der Mensch wirklich zum Leben braucht. Doch das ist ein weites Feld und Ch. Beyer weiß gewiss, dass auch er im Glashaus sitzt.

Anyways: Der Ritt zum alten Camper lohnte sich nicht nur aus philosophisch-theoretischen Gründen. Auch praktisch wurden Ch. Beyers Anstrengungen belohnt: Es gab Schraubkartuschen, Steckkartuschen und Brenner für beides. Und das Ganze in einem relativ kleinen, vollgestoften Laden. Fast ein wenig urig, wäre es nicht in einer Wellblechhütte in einem Industriegebiet in Voglans bei Chambery. Die Verkäufer waren super kompetent und nett. Und Ch. Beyer war heilfroh, dass er in aller Eile seine große Radtasche auf dem Campingplatz vergessen hatte. So musste er sich auf den Kauf von Gaskartuschen beschränken, die er in die Rahmen- und Trikottaschen packte. Nur für ein kleines Spielzeug blieb noch Platz: Ein Kocher von Primus für Kartuschen mit Schraub- oder Steckverschluss. Damit sollte das Kartuschenproblem in Frankreich erstmals vom Tisch sein.

3 Comments

  1. Muddi

    Das ist ja Wahnsinn, das ist ja ein richtiger Kartuschenkrimi.
    Aber eine wunderschöne Landschaft.
    Da ist es wahrscheinlich von Vorteil wenn der Urlauber gut französisch kann. Da wären wir schon aufgeschmissen.

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