Orientbeule.

„One can only connect the dots backwards.“, sagt Steven Jobs bei seiner bekannten Rede vor den Absolventen der Universität zu Stanford und meint damit, dass man nicht weiß, wofür das ein oder andere Geschehen gut sein mag. Ein Glück also, dass Ch. Beyer seinen Beitrag zum Tuscany Trail erst jetzt schreibt, circa zwei Monate nachdem dieser stattgefunden hatte. Ansonsten, lieber Leser, hätten Sei nichts Ch. Beyers kleinem Mitbringsel erfahren.

Es begann mit einer juckenden Stelle der Haut über dem linken Daumengrundgelenk, welches das zweite Gelenk von vorne ist. Ganz vorne befindet sich nämlich das Daumenendgelenk und hinter dem Grundgelenk zur Handwurzel hin das Daumensattelgelenk. Über dem Daumengrundgelenk links bemerkte Ch. Beyer nach seiner Reise zum und auf dem diesjährigen Tuscany Trail also eine juckende Stelle. 

Ganz sicher weiß er nicht, ob er sich diese juckende Hautstelle am Tuscany Trail selbst oder anderswo in der Toskana eingefangen hatte, aber vermutlich wird ihn so ein Stechmücken-Viech schon im Schlafen unter freien Himmel gestochen haben. Erste Auffälligkeiten hatte er ja erst eine gute Woche später in heimatlichen Gefilden bemerkt. In der Mitte dieser juckenden Stelle befand sich ein kleiner Schorf als Relikt des Stiches. „Soweit so gut…“, dachte sich Ch. Beyer, „…wird schon weggehen.“ 

Dann nahm aber das Ausmaß dieser juckenden Hautstelle zu: Es traten kleine palisadenförmige Hautvorwölbungen um den Schorf auf, die gelegentlich ein weißes Krönchen trugen. Von Papeln und Pusteln würden die Hautärzte sprechen, damit es alle anderen Ärzte und die Allgemeinbevölkerung nicht verstehen. Zunächst maß die Fläche mit den Palisaden circa einen Cent, aber über mehreren Wochen wanderten die Palisaden immer weiter nach außen und die gesamte Hautläsion nahm das Ausmaß eines Fünfmarkstückes an. In der Mitte verschwanden übrigens die palisadenförmigen Hautvorwölbungen, so dass das ganze Ding wie eine Stadt mit einer hohen Stadtmauer aussah. Das Jucken fand sich überwiegend am Rand, wo die Palisaden standen, vermutlich das Zentrum des aktiven Krankheitsgeschehens. Und liebe Leser, nein, diesen Zahn möchte ich Ihnen ziehen: Wenn es juckt, heißt das nicht, dass es heilt!

Zum Glück, liebe Leser, schreibt Ch. Beyer seinen Beitrag nicht nur zwei Monate nach dem das juckende Hautdingens schön wachsen konnte, sondern auch nach seiner Prüfung zum Infologen. Zunächst wollte er seine auffällige Haut über dem linken Daumen in der Infologen-Prüfung thematisieren, um zu einer raschen Diagnose zu gelangen, aber dann entschied sich Ch. Beyer doch mittels eigenem Halbwissen, google-gestützt, dem Hautdingens einen Namen zu geben. War es etwa die Rosengärtner-Krankheit, hervorgerufen durch Sporothrix schenkii, oder eine andere Pilzerkrankung? Oder war es vielleicht doch die Orientbeule, hervorgerufen durch verschiedene Leishmanien-Spezies, allesamt kleine parasitäre Lebewesen, die eine zum Tode führende Erkrankung der inneren Organe oder eine oberflächliche Hauterkrankung, aka Orientbeule, induzieren. 

Die Therapie der Wahl war zunächst rein internistisch: Aggressives Zuwarten! Erst als die juckende Hautstelle nach zwei Monaten ordentlich angewachsen war, entwickelte Ch. Beyer einen gewissen Handlungsdrang: Die nette Kollegin aus der Infologie zuckte mit den Achseln und der Hautarzt fand erst zweieinhalb Wochen später einen Termin. Doch Heureka! Zum Glück gab es da den Kollegen PS aus H, der ehemals im „Tropi“ in München tätig war. Der sah die juckende Hautstelle auf dem linken Daumengrundgelenk schon aus zehn Meter Entfernung und rief: „Hey Chuck, was hast de da?“ — „Eine Leishmaniose!?“ — „Ja!“. 

Anscheinend erschraken die kleinen Viecher über die derart messerscharfe Beobachtung des Kollegen PS aus H so sehr, dass sie alle tot umfielen. Zumindest juckt das Ding seither nicht mehr, die Palisaden werden kleiner und die Haut scheint allmählich abzuheilen. Vielleicht kann sich der Dermatologe nächste Woche die Probeentnahme sparen, auch wenn sie aus akademischen Gesichtspunkten interessant wäre. 

Zur Verteidigung der kleinen Viecher muss Ch. Beyer hier noch schreiben, dass die schwere Form mit Befall der inneren Organe durch andere Untergruppen hervorgerufen werden als die Hauterkrankungen. Von daher konnte Ch. Beyer von Anfang an gelassen sein, denn in fast allen Fällen verschwinden die Leishmanien, die die Orientbeule hervorrufen, ganz von alleine. Und auch ein weiteres Detail darf Ch. Beyer nicht verschweigen: Eine klassische Orientbeule hatte er nicht. Die hätte ja die Form einer Beule. Es handelte sich eher um eine bislang nicht benannte Hauterkrankung der Leishmanien. Analog zum Swimmer’s itch, hervorgerufen durch Schistosoma, oder den Ground itch, hervorgerufen durch einige Wurmarten, hätte Ch. Beyer auch vom Bikepacker’s itch sprechen und sich damit in der medizinischen Literatur verewigen können, doch die Überschrift „Orientbeule“ klang seiner Ohren nach wesentlich spannender.

Zum Tuscany Trail selbst gäbe es natürlich auch viel zu berichten: Dieser wurde aufgrund der Pandemie nicht als Bikepacking Rennen ausgetragen, sondern als Event mit einem über drei Tage ausgedehnten Start, so dass sich die Teilnehmer besser verteilten und damit das SARS-CoV-2-Risiko niedriger war. Trotz teils anderer Meinungen von anderen deutschen und deutschsprachigen Teilnehmern fand Ch. Beyer das Event und die Strecke grandios: Solche Banausen! Die kleinen, alten Städtchen in der Toskana, die weißen Schotterstraßen und die einzigartige Kulturlandschaft waren wunderbar. Die knapp 500 km lange Strecke war super zusammengestellt und nach hinten etwas leichter, was den bis dato schon ermüdeten Bikepackern gewiss entgegen kam. Und ganz ehrlich, liebe Leser, wer kann schon von sich behaupten, um Mitternacht durch das antike Siena geradelt zu sein? 

Geradelt ist Ch. Beyer den Tuscany Trail mit RJ aus E. Dieser ist zu Fuß und auf dem Rad ein Unermüdlicher und Unkaputtbarer und dmait ein Idol zahlreicher Radiologen-Generationen. Würde Ch. Beyer RJs Radfahrstil beurteilen müssen, würde er ihn durchaus respektvoll mit einem alten Porsche-Traktor oder einem Bulli der ersten Generation vergleichen wollen, der immer noch unverdrossen seinen Dienst verrichtet, solange man ihm irgendeine Art von Sprit zuführt. Tut man das nicht, beziehungsweise vergisst er selbst darüber, dann gerät auch sein Motor ins Stocken. Dafür gibt es dann aber eine Dea ex machina, die ihm – allen Bikepacking-Regeln konform – eine Unterstützung bei der Kalorienzufuhr ist und ihn stetig ermahnt, neben der Pasta auch die Gnocchi noch aufzuessen. 

Sollten Sie, liebe Leser, vor Leishmanien und Konsorten nicht allzu viel Angst bekommen haben, dann kann Ihnen Ch. Beyer eine Fahrt in die Toskana oder eine Teilnahme am Tuscany Trail wärmsten ans Herz legen!

2 Comments

  1. Donatella Ravioli III

    Großartig! So kanns Wochenende beginnen.

    ….allerdings fehlt ein close-up der beschriebenen Hauterscheinung!

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