Ahead of Pogacar and Vingegaard.

Der ewige Janka und Chuck Beyer waren dem Tour de France-Peloton weit voraus! Ja, ehrlich! Und zwar über eine ganze Woche. Denn ehe sich Pogacar und Vingegaard über den Col de Cou und ein paar weitere Hügel südlich des Genfer Sees in der Region Savoie quälten, flogen der ewige Janka und Chuck Beyer leichtfüßig über die ersten Anstiege der Route des Grandes Alpes de Napoleon. Noch leichtfüßig, muss Chuck Beyer hier einräumen, denn erst war ja erst der Auftakt. 

Seit Maurice Anscherer die französisch-italienische Grenzregion mit ihren monumentalen Passstraßen Chuck Beyer vor einigen Jahren vorgestellt hat, lässt diese ihn nicht mehr los. Letztes Jahr waren es der Colle de la Finestre, der Col d’Agnel, die Assietta- und die Gardetta-Gruppe und dieses Jahr die Route des Grandes Alpes, die die beiden Erlanger Radhelden unter die Räder nahmen. Im Endeffekt handelte es sich aber um die gleichen Berge und deren Passstraßen, die zwischen dem Genfer See im Norden und dem Mittelmeer im Süden liegt. Eine vermutlich unpassende Analogie wären das samstägliche Mittagessen in der Erlanger Palmeria: Jede Woche steht ein anderes Gericht auf der Speisekarte, aber am Ende gibt es immer Eintopf. Ein wesentlicher Unterschied jedoch bleibt: Den Eintopf kann Chuck Beyer seit dem Studium nicht mehr riechen; Durch die italienisch-französische Alpenregion könnte er aber jede Woche radeln. Nun gut, jede Woche klappt leider nicht, aber jedes Jahr!

Dass die Deutsche Bahn im Rahmen der Anreise wieder einmal Verspätung hatte, braucht Chuck Beyer hier eigentlich gar nicht festhalten. Doch wer weiß: Vielleicht werden sich irgendwelche Nachfahren über die gefunden Schriftstücke auf radness.de in ferner Zukunft einmal freuen und sich über die Rückständigkeit der heutigen Zeit lustig machen. Unsere Nachfahren könnten dann Vergleiche mit den Ochsenkarren der Germanen aufstellen, die vermutlich pünktlicher waren als die Deutsche Bahn anfangs des 21. Jahrhunderts. Doch was soll’s! Dafür gibt es dann die Schweizer Bahn, die am Hauptbahnhof in Zürich im Handumdrehen die Tickets für den ewigen Janka und Chuck Beyer umbuchte und die umgehende Weiterfahrt ermöglichte. Somit kamen die beiden Velofahrer mit nur einer Stunde Verspätung in Lausanne an. 

In Lausanne stiegen ewige Janka und Chuck Beyer auf die Fähre nach Thonon-les-Bains über den wahrhaftig schönen Genfer See. Schon vor vier Jahren am Ziel der Hope-1000 in Montreux war Chuck Beyer von diesem wunderschönen Gewässer beeindruckt, obwohl er zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur noch schlafen wollte, sofort und auf der Stelle. Mit dem Kuhgestank an den Schuhen und Beinen hätten ihn die Ordnung liebenden Schweizer aufgrund von Geruchsbelästigung aber gewiss nicht an der Uferpromenade liegen lassen. So unterzog er sich nach einer Zugfahrt ins benachbarte Frankreich, nämlich nach Huningue bei Basel, einer Parfümbehandlung. Needless to say, um zu den aktuellen Geschehnissen zurückzukehren, war die Überfahrt mit der Schweizer Fähre wohl mit das Teuerste Unterfangen der gesamten Radreise entlang der Route des Grandes Alpes. Doch die Fährfahrt war jeden Franken Wert. 

Gleich mit dem Start der rund 700 km langen und circa 15 000 Höhenmeter umfassenden Route des Grandes Alpes zog der ewige Janka das Tempo an und stürmte die ersten Anstiege hinauf. Kein Wunder, schließlich trainierte er bis zuletzt mit den jungen Wilden des 4WeizenCyclings. Chuck Beyer hingegen war bereits im Radreise-Dauerquark-Modus, nachdem er mit der Göttergattin just die Woche davor von Bozen nach Salzburg geradelt war. In klassischer Bergsteigermanier ausgedrückt zollte er den Bergen und Pässen von Anfang an den nötigen Respekt und ging das Unterfangen eher gemächlich an. Im Endeffekt näherte sich das Tempo des ewigen Jankas dann auch asymptotisch dem von Chuck Beyer an, so dass die beiden Velofahrer die nächsten Passstraßen gemeinsam bewältigen konnte. –  Ha, liebe Leserinnen und Leser, nun musste Chuck Beyer tatsächlich die Worte „Asymptote“ und „asymptotisch“ im WWW verifizieren: Das Medizinerlatein hat sich in seinem Hirn schon zu sehr breit gemacht und er unterlag beinahe der Versuchung, von der „asymptomatischen Geschwindigkeitsanpassung“ zu schreiben.

Das erste Camping in Frankreich war schön und deutlich günstiger als die Campingplätze und Südtirol und Österreich, wo Chuck Beyer mit der Göttergattin in der Vorwoche noch nächtigte. Schön im Sinne von schön schlicht und nicht im Sinne von „Göttergattinnen-schön“. Auf dem Campingplatz fanden sich etliche Hobby-Rennradfahrer, die wohl eine Tour-Etappe im Rahmen einer Veranstaltung nachfuhren. Wahrscheinlich waren auch deswegen schon etliche Tour de France-Wegweiser gut eine Woche vor dem Besuch der Tour de France in der Region zu bewundern. Besser noch als die Nacht war übrigens der folgende Morgen: Was gibt es schöneres als mit ordentlichem Hunger eine französische Boulangerie anzusteuern. Nur der ewige Janka konnte nicht ganz die Freude mit Chuck Beyer teilen. Die Köstlichkeiten seien ihm zu trocken. Chuck Beyer glaubt aber eher, dass der ewige Janka zu wenig trinkt. 

Der zweite Tag war ebenfalls malerisch: Col des Aravis, Col des Saises und Cormet de Roselend. Dabei gefiel der in den einschlägigen Büchern hochgelobte Cormet de Roselend Chuck Beyer am wenigsten, vor allem weil die Auffahrt eher breit und der Verkehr im Vergleich zu den beiden ersten und unbekannteren Pässen stärker war. Außerdem nahmen die beiden Radhelden den Cormet in der Mittagshitze in Angriff, was die Naturschönheiten verbleichen ließ und den Fokus der Velofahrer auf die inneren Schönheiten verschob. Ja, Qualen können durchaus schön sein, insbesondere dann, wenn sie vorbei sind: Die Leserinnen und Leser mögen sich an die Erläuterungen zum Type 2 fun erinnern. Wieder endete der Tag auf einem urigen Camping, wo es zum Abendessen Burger gab, eine Speise, die nach Chuck Beyers Einschätzung ungewöhnlich häufig auf den französischen Speisekarten entlang der Route des Grandes Alpes zu finden war: Also eigentlich immer! Knapp drei Kilometer vor Erreichen der Camping-Burger-Oase mussten der ewige Rolf und Chuck Beyer noch einen kurzen Stopp beim goldenen M einlegen. Ohne das Cola-Eis-Gemisch hätten sie den Anstieg zum Camping Platz nicht mehr geschafft. Zugegebenermaßen war es nur eine „false flat“ mit geschätzten 20 Höhenmeter auf den letzten Kilometern. 

Am Folgetag stand mit dem Col d’Iseran der erste Riese an. Mit seinen 2770 hm gilt er ja als höchster Alpenpass, wenn man beim Col de la Bonnette das Geschummle mit der Cime de la Bonnette nicht akzeptiert. Das erste Teilstück des Iserans bis zum Val d’Isere ist nicht besonders schön, zumal sich die Radfahrer die Straße mit recht dichtem Verkehr teilen. Dafür wird man im Val d’Isere mit dem teuersten Café auf der ganzen Route des Grandes Alpes belohnt. Wer noch mit Bargeld bezahlt, könnte nun zumindest über eine Erleichterung des Geldbeutels und dessen leistungssteigernde Auswirkungen auf den finalen Anstieg philosophieren. Danach war die Auffahrt zum Col d’Iseran aber wirklich wunderschön. Auf dem Weg hinab stellt sich als kleiner Gegenanstieg noch der Col de la Madeleine in den Weg, ehe es mit leichtem Gegenwind, parallel zur Autobahn relativ flach und sehr zäh nach Saint-Michel-de-Maurienne ging. 

Der Col de Galibier mit dem vorgeschalteten Telegraphen ist mit 2642 Höhenmeter auch ein Prachtexemplar. Der Verkehr war weiter unten am Anstieg ebenfalls relativ stark und nahm erst nach Valloire deutlich ab. Insgesamt ließ sich der Galibier verkehrstechnisch aber leichter meistern als der Iseran und der Café in Valloire sowohl günstiger als auch besser. Der ewige Rolf und Chuck Beyer übernachteten nach der Abfahrt über den Lautaret auf einem Camping in der Nähe von Briancon, das sie bereits im letzten Jahr auf der Torino-Cuneo-Tour ausfindig gemacht hatten. Es ist erstaunlich, wie sich ein Gefühl der Geborgenheit breit macht, wenn man an einem Ort gelangt, an dem man schon einmal war – und wenn auch nur für eine Nacht. Auch die kulinarische Versorgung war identisch zum Vorjahr: Pizza auf dem Camping und Croissant beim Boulanger in Briancon. 

Die Erinnerung mag Chuck Beyer täuschen, aber spätestens in Briancon fiel auf, dass der ewige Janka in der Routenplanung mit dem Col d’Izoard einen essentiellen Pass der Route des Grandes Alpes ausgelassen hatte. Fairerweise sollte nicht unerwähnt bleiben, dass es vermutlich das Komoot war, dass in der Premium Version bei der Planung des Abenteuers die Strecke nach eigenen Gutdünken kürzte. Das Schuldige war also das Komoot vom ewigen Janka. Und liebe Leserinnen und Leser, Ihnen ist gewiss klar, dass das Überqueren eines Alpenpasses in Komplettmontur durchaus einen halben Tag beanspruchen kann. Der ewige Janka und Chuck Beyer hatten gegenüber den Tour de France Profis ja ihr ganzes Schlafzimmer mit dabei! Die beiden Radhelden verkrafteten den initialen Schock, nachdem sie das Malheur erkannt hatten, aber sehr tapfer. Eigentlich gewannen sie einen halben Tag, den sie auf dem Rad verbringen konnten. Der letzte Tag der Tour hätte mit der falschen Komoot-Planung nämlich einen halben Tag am Strand in Ventimiglia vorgesehen und Chuck Beyer vermutete, dass der ewige Janka und er selbst nicht gewusst hätten, was sie am Strand hätten machen sollen.

Die drei weiteren Radtage südlich von Briancon waren noch beeindruckender und schöner als der nördliche Routenabschnitt der Route des Grand Alpes. Mit Ausnahme von der häßlichen Nordflanke des Col des Vars gab es nur noch wunderschöne und verkehrsarme Pässe: Der unglaubliche schöne Izoard. Der ewige lange und wunderschöne Bonnette. Ebenso schön der Col de la Couillole und nicht zuletzt der traumhafte Col de Turini. Grandios. Das Radfahrerherz hüpft vor Freude. 

Und zu erleben gab es auch noch Einiges: Das wohl schönste Camping fand sich am Fuße des Col de la Bonnettes in Jausiers und hier durften der ewige Janka und Chuck Beyer miterleben, wie ein Gewitter, das im benachbarten Tal nördlich an Ihnen vorbeizog, den Nachthimmel immer wieder erleuchtete. Nur wenige Regentropfen fielen auf das Zelt der beiden Radhelden. Ansonsten zeichnete sich das gesamte Radabenteuer durch schönstes Sommerwetter aus. 

In der Abfahrt des Col de la Bonnettes kam es zu einem interessanten Stau, als sich ein bergauf fahrender LKW und ein bergabfahrender Transporter in die Haare bekamen. Trotz Millimeterarbeit konnten sich die beiden Fahrzeuge nicht aneinander vorbeischieben. Während der PKW-Verkehr wohl mindestens eine Stunde aufgehalten wurde, bis sich das Problem löste, konnten sich der ewige Janka und Chuck Beyer gut am Ort des Geschehens vorbeimogeln. Auf der Abfahrt des Col de la Couillole in die Schlucht Gorges du Cians kam es noch besser: Ein Linienbus setzte in einer Serpentine vorne und hinten auf, so dass bis auf die beiden Velofahrer niemand mehr in die Gorge abfahren konnte. Der ewige Janka und Chuck Beyer hatten die Schlucht für sich alleine. 

Vom französischen Sospel ins italienische Ventimiglia wurden der ewige Janka und Chuck Beyer schließlich noch von italienischen Autofahrern belästigt. Die zeigten kein Verständnis, dass zwei arme Radfahrer aus Deutschland vom bösen Komoot durch zwei lange Autotunnel geleitet wurden. Aber auch diese Hürde bewältigten die beiden Radhelden mit gelassener Pelzigkeit und konnten schließlich erfolgreich in Ventimiglia einrollen. Dort nahmen sie sich ein Camping am Strand und wurden tatsächlich von einem gebräunten Touristen-Walross am Strand begrüßt. 

Die Rückfahrt mit dem Zug war übrigens unspektakulär, zumindest in Italien und der Schweiz, wo alles wie geschmiert lief. Erst als der ewige Janka und Chuck Beyer wieder auf die Deutsche Bahn umsattelten wurde es unangenehm: Die Strecke Zürich-München war wegen Sturmschäden gesperrt. An der Strecke über Hohenthwiel-Singen und Stuttgart wurde gebaut. Es ging über Schaffhausen, Friedrichshafen, Ravensburg und Ulm nach München. Statt der angepeilten 23 Uhr kamen die beiden Velofahrer um 2 Uhr nachts in München an. Von Friedrichshafen nach Ravensburg standen der ewige Janka und Chuck Beyer mit der alkoholisierten und balzenden Jugend dicht gedrängt im Zug. Anscheinend fahren die Friedrichshafener nach Ravensburg zum Feiern. In Ulm mussten der ewige Janka und Chuck Beyer dem Schaffner schließlich klarmachen, dass der ICE nicht ohne die beiden losfahren würde. Sie hatten zuvor schon ausfindig gemacht, dass es noch freie Fahrradstellplätze gab. Und hätte der Schaffner sie nicht mitgenommen, hätten sie sich an den Zug geklebt. Klar, hätte man dann diskutieren müssen, ob der Zweck alle Mittel rechtfertig, doch danach wäre es zu spät gewesen: Der letzte Zug wäre abgefahren.

 

Für die Statistik verliebten unter der Leserschaft noch ein kleiner Zusatz: Mit dem Bonnette, dem Iseran, dem Galibier und dem Agnel hat der ewige Janka vier der fünf höchsten, geteerten Alpenpässe mit dem Velo bewältigt. Die Stempelkarte ist fast voll. Es fehlt ihm noch das Stilfser Joch, das er in völliger Unwissenheit ob dessen Bedeutung im vergangenen Jahr mit dem Bus und zu Fuß bereiste. Da bleibt Chuck Beyer nur festzuhalten, dass er damit kein strategisches Vorgehen an den Tag legte. Für alle, die ebenfalls eine Alpenpass-Bucket-Liste kreieren wollen, seien die zwölf höchsten, geteerten Alpenpässe nochmals aufgeführt. Super, dass es für Chuck Beyer auch noch einiges zu tun gibt!

 

1. 2770 m Col de l’Iseran Frankreich
2. 2758 m Stilfser Joch (Passo dello Stelvio) Italien
3. 2744 m Col d’Agnel (Colle dell’Agnello) Frankreich–Italien
4. 2715 m Col de la Bonette (ohne Cime de la Bonnette, sonst Nr. 1) Frankreich
5. 2642 m Col du Galibier  Frankreich
6. 2621 m Passo di Gavia Italien
7. 2505 m Grossglockner Hochalpenstrasse (Hochtor) Österreich
8. 2501 m Umbrailpass (Passo dell’Umbrail) Schweiz–Italien
9. 2480 m Colle dei Morti (Col di Morts Fauniera)  Italien
10. 2478 m Nufenenpass (Passo della Novena) Schweiz
11. 2474 m Timmelsjoch (Passo Rombo) Österreich-Italien
12. 2473 m Grosser Sankt Bernhard (Colle del Gran San Bernardo, Col du Grand Saint Bernard) Schweiz–Italien

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