Veillonella: Eine Dosis Theorie.

Würden Sie, lieber Leser, den Stuhl von Christopher Froome, Eliud Kipchoge oder Jan Frodeno essen, um schneller Rad zu fahren, zu laufen oder zu schwimmen?

Malen Sie sich das einfach einmal aus: Eine braune Wurst serviert mit Brot und Kraut! Oder gleich „Zwoa im Weggla“.

Doch halt! Vielleicht sind diese Vorstellungen gar falsch: Wer behauptet, dass sich der Stuhl dieser Supersportler zu einer festen Wurst formt. Der wird doch eher breiig oder flüssig sein. Sie müssten sich also viel mehr eine Suppenschüssel und Petersiliendressing vorstellen. Und dann: Löffeln!

Und wenn Sie sich nun ein Bild oder gar einen Film in voller Größer und knalliger Farbe vor Ihrem inneren Auge erschaffen haben, dann packen Sie jetzt noch einen deftigen Geruch hinzu!

Eine schöne Sch***!

Ch. Beyer findet, dass das nicht abwegig ist. Schließlich gibt es doch kaum etwas, was die ambitionierten Ausdauerathleten nicht versuchen, um noch das letzte Quäntchen Leistung aus sich herauszuquetschen. Und wenn Doping-Regeln gebogen und gebrochen werden, dann wird der gute Geschmack auch nicht standhalten.

Zum Glück wird es die moderne Medizin den Ausdauerathleten leichter machen: Der Stuhlgang lässt sich suspendieren, die groben Partikel herausfiltern und die Endoskopie erlaubt eine gezielte Applikation in den Dünn- oder Dickdarm. Oder der Stuhlgang wird gleich in Kapselchen verpackt, die sich erst im Magen oder Dünndarm öffnen. Bleibt nur zu hoffen, dass der Ausdauerathlet nicht aufstoßen muss.

Jetzt, lieber Leser, denken Sie sich bestimmt wieder, was er denn will, der Ch. Beyer. Nun gut, weit hergeholt sind obige Gedankenzüge nämlich ganz und gar nicht:

Die Grundlagenforscher Scheiman et al. haben im Juli dieses Jahres in Nature Medicine berichtet, dass das Darmbakterium Veillonella aus faulen Socken echte Marathonrenner machen kann. Dabei sollte der Leser wissen, dass Nature Medicine nicht irgendeine Zeitschrift ist. Nature Medicine ist für den naturwissenschaftlich interessierten Mediziner das, was die Nürnberger Nachrichten für den eingeboren Franken sind.

Die Sekundärliteratur, also die Sportgazetten die den Artikel von Scheiman et al. aufgegriffen, überschlugen sich. Doch Ch. Beyer machte sich die Mühe den ursprünglichen Bericht der Forscher herauszukramen, um die darin durchgeführten Experimente gedanklich nachzuvollziehen. Und das, lieber Leser, ist verdammt anstrengend!

Um in den Spitzenjournalen zu publizieren genügt es nämlich nicht, die wesentlichen Experimente durchzuführen. Der Wissenschaftsnarzissmus verlangt es, dass die Schlüsselexperimente durch zahlreiche ausschmückende Untersuchungen „unterfüttert“ werden. Da hauen die Topwissenschaftler auf den Putz und zeigen, was sie so alles können. Egal, wie viele Mäuseleben es koste. Egal, wie viele Leser beim Lesen des wissenschaftlichen Artikels einschlafen. Egal, egal, egal. Dem Spitzenkoch genügt es schließlich auch nicht, dass das Essen gut schmeckt.

Jedenfalls konnten Scheiman et al. zeigen, dass im Stuhl von Läufern des Boston Marathons bis zu 20% der dort lebenden Bakterien – man spricht vom Mikrobiom – zur Gruppe der Veionella gehören. Hingegen fand sich im Stuhl von Normalos fast kein Veillonella.

Natürlich, lieber Leser, jetzt höre ich Sie schon rufen: „Ja halt mal. Das ist noch lange keine Kausalität gegeben! Die Geburtenrate korreliert ja auch mit der Anzahl der Storchennester!“ Und da haben Sie Recht!

Um genau diese Kausalität nachzuweisen, führten Scheiman et al. weitere Experimente durch. So konnten Sie zeigen, dass der Stuhl der Marathonläufer faule Mäuse zu Spitzenrennern machen. Die faulen Mäuse wurden mit dem Stuhl der Marathonläufer geschlundet („gavaged“) und dann rannten sie um 13% länger. Sagenhaft, nicht wahr?

Doch damit gaben sich die Wissenschaftler noch lange nicht zufrieden: Sie fanden ferner heraus, dass die Veillonella-Bakterien echte Laktatfresser sind. Und Laktat ist ja bekanntlich der Stoff, der im anaeroben Stoffwechsel bei hoher körperlicher Belastung anfällt. Das Laktat wird gerne für den Muskelkater verantwortlich gemacht, was aber wiederum nicht stimmt.

Jedenfalls konnten die Forscher weiterhin zeigen, dass das Laktat aus den Muskelzellen ins Blut und von dort in den Darm gelangt. Dort trifft es bei den Marathonläufern auf Veillonella, das das Laktat dann in Short Chain Fatty Acids umwandelt. Die Short Chain Fatty Acids werden dann über den Darm wieder ins Blut aufgenommen und gelangen in die Leber oder den Muskel, wo sie als Energieträger zur Verfügung stehen.

Soviel zur Theorie. Das Mausmodell ist gewiss nicht 1:1 auf den Menschen übertragbar und es bleibt unklar, ob und wie ausgeprägt die Effekte von Veillonella und dem Stuhltransfer für die Leistungssteigerung im Menschen sind. Dennoch macht sich Ch. Beyer Gedanken, wie sich diese molekularen Zusammenhänge nun praktisch umsetzen ließen. Und damit ist er mitnichten der Einzige: Erste Start-ups zur Weiterentwicklung und wirtschaftlichen Ausbeutung dieser neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden bereits begründet. Team Ineos forscht bereits intensiv mit Christopher Froomes Stuhlgang. Und der FC Bayern untersucht die molekularen Interaktionen von Veillonella mit Hefepilzen. Na gut, die aktuellen Resultate sprechen eher gegen eine synergistische Wirkung.

Das Prinzip des Stuhltransfers ist übrigens in der Medizin zur Behandlung einer bestimmten Darmentzündung, hervorgerufen durch das Bakterium Clostridium difficile, gut etabliert. Hier wird tatsächlich endoskopisch Stuhl von Gesunden auf die schwer erkrankten Patienten übertragen, um deren Erkrankung zu heilen. Die Logistik stünde also.

Für die Lifestyle-Sportler und Fitness-Influencer wäre die Variante mit den Stuhlkapseln natürlich lässiger. Irgendwie käme es ja blöd, wenn Pamela Reif oder Sophia Thiel von ihrem letzten Besuch beim Gastroenterologen berichten. Eine ordentliche Propofol- oder Midazolam-Narkose zur Endoskopie wären sicherlich für den Inhalt ihrer Beiträge nicht zuträglich. Andererseits: Schlimmer kann es auch nicht mehr werden.

Gesetzt dem Falle, Veillonella und der Stuhltransfer brächten tatsächlich eine Leistungssteigerung, und gesetzt dem Falle, die Sportler würden diese neue Methode aufgreifen, wovon mit Sicherheit auszugehen wäre, dann würde sich die Frage stellen, wie die Sportorganisationen und die nationalen und internationalen Anti-Doping-Agenturen darauf reagieren würden. Gerade wenn der Stuhl mittels Endoskopie übertragen werden müsste, bestünde doch ein erheblicher finanzieller Aufwand und ein gesundheitliches Risiko, welches es zu unterbinden gäbe.

Der Sport ist schließlich nur ein Abbild unserer leistungsgetriebenen Gesellschaft: Demnächst werden Wirtschaftsbosse den Stuhl von Ray Dahlio futtern. Medizinstudenten werden haufenweise Stuhl von Robert Koch, der nach Exhumierung desselbigen molekularbiologisch rekonstituiert wurde, in sich hinein schaufeln. Die CSU verkonsumiert den Stuhl von Franz Josef Strauß. Und Eltern verabreichen ihren Kindern Stuhlkapseln von Beethoven, Goethe oder Christiano Ronaldo. Schöne Sch*** und bon appétit!

8 Comments

  1. Horst

    …über Rennradprofis munkelt man ja schon länger: wenn man denen sagt das Scheiße schnell macht, dann würden die auch Scheiße spitzen…. da wird die Bauernweisheit ja von der reality übrholt!

  2. Zwar arbeitet Ch. Beyer in der Klinik für Gastroenterologie, doch hat er seine anale Phase bereits seit längerem überwunden. Wo bleibt eigentlich der Kommentar von „Mutti“? Ist wohl jetzt busy als Omi.

  3. Siglinde-Muddi-Omi

    Hallo mein großer,
    die Muddi muss das erst ein paarmal lesen um alles zu verstehen was du da wieder zusammengereimt bzw. erforscht bzw. vielleicht getestet hast.
    Wir könnten ja das jetzt mal am Kaka vom kleinen Luis bzw. deinen ersten Neffen testenob da schon Anzeichen eines zukünftigen Spitzensportlers festzustellen sind.
    Die Fußreflexe sind auf jeden Fall perfekt hat die stolze mama berichtet.

  4. Siglinde-Muddi-Omi

    sind das tatsächlich wissenschaftliche Erkenntnisse igitt, igitt,
    Für den ganz normalen Freizeitsportler gottseidank nicht relevant.

  5. Don H.

    HA! Sehr geehrte Frau Siglinde-Muddi, ich muss widersprechen: Die Freizeitsportler – das sind ja oft die Schlimmsten!

    Gerade die!

    ….enorme Relevanz!

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