Beyer bleib bei Deinen Leisten!

Neideck-1000, Trail-Route-66, Ultra Trail of the Mont Blanc (UTMB). Die Sequenz der Ereignisse schien Ch. Beyer glasklar. Bis gestern.

Die Aussichten waren rosig: Warum sich über Tage auf dem Rad kaputt machen, wenn beim Laufen wenige Stunden reichen.

Nun aber ist Ch. Beyers Ultratrail-Karriere ins Stocken geraten und er wundert sich, ob er einfach beim Radfahren bleiben soll.

Doch vielleicht, zum besseren Verständnis für die treue Leserschaft, ein kleiner Schwenk in die Vergangenheit. Von circa 2000 bis 2008 versuchte sich Ch. Beyer als Triathlet. Und auch nach der Triathlon-Karriere nutze er das Laufen um seine Ausdauer in kurzen Einheiten zu steigern. Doch es gab da ein Problem: Bei round about 90% aller Laufeinheiten hatte Ch. Beyer Wadenschmerzen, die er zwar „überlaufen“ konnte, die ihn aber den Spaß an der Freude verdarben.

Trotz zahlreicher Besuche bei Orthopäden, Radiologen und Physiotherapeuten und trotz zahlreicher Selbstversuche wollten die Wadenschmerzen nicht verschwinden. Manchmal waren sie für eine Laufeinheit weg, doch beim nächsten Mal gewiss wieder da. Und natürlich resultierten aus den Wadenschmerzen Schonhaltungen und andere Laufprobleme. Doof war auch, dass die Wadenschmerzen auch nach dem Laufen fortbestanden, so dass im Alltag an einen kurzen Sprint oder ein paar Laufschritte nie zu denken gewesen wäre. Ach, dachte sich Ch. Beyer, wie schön wäre es, wieder ein paar Meter beschwerdelos rennen zu können.

Und dann, 2019, kamen Chris McDougall und Coach Eric Orton. In seinem Buch „Born to Run“ beschreibt Chris McDougall wie er sich vom Laufwrack zum Ultrarunner wandelte. Im Zentrum der Geschichte steht ein Ultratrail-Lauf zusammen mit den Raramuri, einem Läufervölkchen in den Copper Canyons in Mexiko. Und Coach Erich Orton, aus Jackson Hole in Wyoming, war derjenige, der Chris McDougall das Laufen neu beibrachte. Er stellte dafür eine Bedingung, nämlich dass er bei diesem Laufevent auch mit machen dürfe.

Durch McDougalls Buch erlangte Coach Eric Orton auch Bekanntheit und mittlerweile teilt er seine Weisheiten nicht nur in seinem Buch „The Cool Impossible“, sondern auch auf seinem YouTube-Kanal.

Klar, dass sich Ch. Beyer über Coach Eric Ortons Weisheiten informierte: Es begann alles mit ganz ordinären Berganläufen und Stabilitätsübungen auf einem Übungskreisel und einen Kippelbrett und es endete damit, dass Ch. Beyer keinerlei, tatsächlich keinerlei, orthopädische Laufbeschwerden in den letzten beiden Jahren hatte. Die fast 20 Jahre andauernden Laufbeschwerden waren weg, einfach weg!

Retrospektiv vermutet Ch. Beyer, dass die „Sitzkrankheit“ für die Wadenschmerzen verantwortlich gewesen waren, nicht zuletzt weil die Wadenschmerzen beim Laufen zur Fahrradsaison, einer durchaus sitzenden Tätigkeit, stets zunahmen. Auch der britische Physiotherapeut James Dunne, ein Laufkoloss wie auch Chris McDougall, trug zu dieser Erkenntnis bei. Die „Sitzkrankheit“ zeichnet sich schließlich dadurch aus, dass die Iliopsoas-Muskulatur (Hüftbeuger) durch unser sitzendes Leben verkürzt und die Glutealmuskulatur (Hüftstrecke, aka Ar***) funktionell abgestellt wird. Das Abschalten der Glutealmuskulatur, also der eigentlichen Laufmuskulatur, bedingt, dass der Quadriceps (Kniestrecker) plötzlich mit Aufgaben versehen wird, für die er nicht gemacht ist, nämlich beim Laufen Strecken und nicht nur wie vorgesehen Halten. Und es bedingt auch, dass die Waden die fehlende Hüftstreckung beim Laufen kompensieren. Anstatt das Sprunggelenk weitestgehend stabil zu halten, muss der Läufer mit „Sitzkrankheit“ den Vortrieb über die Wadenmuskulatur mit Bewegung des Sprunggelenkes erzeugen. Das führt schließlich zu Wadenschmerzen und vielerlei anderer orthopädischer Probleme: Schmerzen in der Lendenwirbelsäule, Überlastung der ischiokruralen Muskulatur (hintere Oberschenkelmuskulatur) und vieles mehr. Und Ch. Beyer hatte diese Beschwerden alle, zumindest bis 2019.

Ach ja, und wenn die treue Leserschaft obigen Bewegungs- und Fehlbewegungsanalysen nicht so recht folgen konnte, so fasst Ch. Beyer zusammen: Wenn man so laufen tut, wie man auf dem Topf sitzen tut, dann tut das zu viel Sch*** führen. Glauben Sie nicht? Dann gucken Sie sich nur die Läufer an, sei es am Venice Beach in Los Angeles oder am Erlanger Kanal. Elegantes Dahinschlurfen in Sitzstellung und dann wundern sich die Schlurfer, dass danach alles weh tut. Doch nichts für ungut: Ch. Beyer war ja auch einer!

Schade nur, dass zumindest die deutschen medizinischen Instanzen für Bewegung, also unsere Orthopäden, Radiologen und Physiotherapeuten in den meisten Fällen noch nichts von der „Sitzkrankheit“ gehört haben. Also gut, die Radiologen sind außen vor, denn Ihr Job ist es die körperlichen Schäden und Folgeschäden des Schlurfens zu beschreiben.

Doch nun noch geschwind zum eigentlichen Thema: Nachdem Ch. Beyers Wadenschmerzen weg waren, malte er sich eine Karriere als Läufer, wenn nicht gar Ultraläufer aus. Das Laufen hat ja durchaus ein paar Vorteile gegenüber des geliebten Radfahrens: Weniger Materialaufwand, kürzere Wettbewerbsdauer und weniger A-Probleme.

Und Ch. Beyers neue Laufkarriere ging dann schon mit 10 km-Läufen los: Was für eine Schinderei! Es folgte ein Gebirgshalbmarathon in Muggendorf, der Neideck-1000: Was für eine Schinderei! Und nun gestern die Trail-Route 66 in der Fränkischen Schweiz: Was für eine maximale Schinderei!

Nachdem die Schinderei in der Natur bei der Neideck-1000 tatsächlich auch attraktive Seiten hatte, ließ sich Ch. Beyer zu einem Individual Time Trial auf der 66 Kilometer-Schleife der Trail-Route-66 verleiten. Die Strecke hatte schließlich auch der Organisator der Neideck-1000 Robert Stein zusammengestellt und die Streckenfotos waren durchaus einladend. Und, liebe Leserschaft, wie sollte Ch. Beyer seinen Ausdauerehrgeiz zu Pandemiezeiten sonst befriedigen.

Die Vorbereitungen liefen sehr gut: Bis zu 45 Kilometer und 1500 Höhenmeter konnte Ch. Beyer seine langen Trainingsläufe ausdehnen. In Gedanken schienen die verbleibenden 21 Kilometer also nur noch Formsache.

Doch liebe Leserschaft, wie sie es bereits vermuten, es kam durchaus anders. Die Trail-Route-66 wurde alles andere als einfach, nämlich ziemlich hart. Dabei liefen die ersten 20 Kilometer noch recht geschmeidig. Nach der Anfahrt mit dem Zug nach Ebermannstadt, kurz EBS, ging es zunächst hinauf zur Wallerwarte und dann weiter über das Zuckerhütl und der Burg Neideck nach Muggendorf. Das alles in einem vernünftigen Schritt und guten Schnitt.

Das erste Problem ergab sich beim Abstieg von Burggaillenreuth zurück ins Wiesenttal. Die Garmin-GPS-Uhr lieferte nicht immer eine exakte Position und hatte keine unterlegte Karte; das Smartphone mit der guten Karte war tief im Rucksack verstaut und nicht sofort verfügbar; und die Holzarbeiten auf den Forstwegen taten den Rest: Ch. Beyer verlief sich mit der Konsequenz, dass er über Stock und Stein und durchs Gestrüpp den Weg wieder finden musste. Und das sollte nicht das einzige Mal bleiben: Vier extra Kilometer standen am Ende zu buche.

Dafür kostete ein großer Toilettengang in der Natur nicht viel Zeit. Aber liebe Leserschaft, die bereits nassgeschwitzte Laufhose wieder hoch zu ziehen, ist wahrlich unangenehm.

In Gößweinstein plante Ch. Beyer einen ersten Boxenstopp: Wassertanken an den von ihm so geliebten Friedhofsbrunnen. Vor dem Lauf hatte er ja schon gefreut, dass am Streckenrand der Gößweinsteiner Friedhof lag. Nur ein Detail wurde Ch. Beyer erst bewusst, als er auf dem Friedhof eintrudelte. Es war ja noch Februar und die Gräber waren noch nicht bepflanzt und in der Fränkischen hatte es noch Bodenfrost und… tatsächlich… das Wasser war noch abgedreht. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als ein Extraschleifchen zum Gößweinsteiner Lidl einzulegen. Zwei Liter Vittel plus ein Liter Leitungswasser in den beiden Fläschen der Laufveste vom Start, machten bis dato drei Liter.

Bis nach Gößweinstein war der Wasserbedarf noch überschaubar. Beim Start hatte es ja nur 5 Grad. Nun aber, nachdem die Sonne die Luft bis auf 15+ Grad aufgewärmt hatte, schwitzte Ch. Beyer umso mehr. Das war blöd, denn von Gößweinstein (circa KM 30) und der nächsten gut zugänglichen Wasserquelle in Streitberg (circa KM 58) war es noch ein weites Stück. Ch. Beyer rationierte das Wasser und drosselte das Tempo. Und nachdem das Wasser aus der Streitberger Muschelquelle nicht mit Elektrolyte, allen voran Natrium, angereichert war, waren Muskelkrämpfe nach partiellem Ausgleich des Flüssigkeitsdefizits zu erwarten. Zwei weitere Liter Wasser machten insgesamt fünf.

Das Tempo musste Ch. Beyer aber nicht nur aufgrund von Wassernot drosslen: Bergauf fehlte zunehmend die Kraft. Wahrscheinlich waren die Glykogen-Speicher bereits leer und Ch. Beyer konnte nur noch im Dieselmodus weiterlaufen- und wandern: Ohne Wasser kriegt Ch. Beyer auch die kohlenhydrat-reichen Energie-Gels einfach nicht runter.

Zu diesem Zeiptunkt machten sich bergab zunehmend Schäden in der Quadriceps-Muskulatur bemerkbar. Die medizinischen Indizien: (1) Muskelkaterartige Schmerzen beim Bergablaufen. Und dabei dachte Ch. Beyer, dass sich ein Muskelkater immer erst ein bis zwei Tage nach der Belastung bemerkbar macht. Und (2) Dunkelbrauner Urin, nachdem bei Ch. Beyer das Wassertanken in Streitberg wieder die Miktion einsetzen ließ. — Ja ja, Ch. Beyer weiß, dass das nicht gesund ist, aber mit einer Volumensubtitution von mindesten 10 Liter nach der Rückkehr zu Hause hat er gewiss genug zur Prophylaxe einer Crush-Niere getan.

Circa 2000 Höhenmeter heißt es auf Komoot und Outdoor Active in der Beschreibung der Trail-Route-66. Etwas mehr als 4000 Höhenmeter summierten sich auf Ch. Beyers Garmin Uhr. Das Smartphone sammelte 2200 Höhenmeter. Egal, wo nun der Messfehler liegt, auf Ch. Beyers oder Robert Steinigs Uhr, Ch. Beyer musste vielmehr Höhenmeter machen, als er angenommen hatte. Die treue Leserschaft mag sich daran erinnern, dass eben jene Garmin Uhr auf Ch. Beyers längstem Trainingslauf 1500 Höhenmeter gemessen hatte. Und ganz klar, je staksiger Ch. Beyer die Berge hinunter hoppelte, des schlimmer wurde es für die beiden Quadriceps.

Dabei hatte Ch. Beyer das Bergablaufen bereits geübt. Coach Eric Orton sagt, dass beim Bergablaufen das gleiche Laufmuster vorherrschen sollte wie in der Ebene. Also Belastung weg von den Quadriceps und hin zu der Glutealmuskulatur. Und in den Bergabläufen im Training schien das bereits geklappt zu haben, doch bei der langen Trail-Route-66 kam wahrscheinlich wieder die alten Laster der „Sitzkrankheit“ durch. Obwohl sich Ch. Beyer das Bergablaufen von den Profis abgeguckt hatte (s.h. Link unten), so bewegte er sich am Ende doch eher wie der Rentner, dessen Rollator geklaut wurde. Damit musste er die letzten 20 Kilometer nicht nur bergauf wandern, sondern auch in den steileren Stücken bergab. Nur flach konnte er noch laufen. Doch flach gab es nicht.

Irgendwie wurde das Trail-Route-66-Erlebnis doch anders, als es Ch. Beyer erwartet hatte. Aus Traumwandeln durch das Herz der Fränkischen Schweiz wurden traumatische Erlebnisse an den Zacken der Frankenalb. Nur eins bewahrheitete sich: Mehrere Ultratrailläufer, die auf YouTube ihre Motivation für die Trailläufe geschildert hatten, berichteten von der ominösen Reise zu sich selbst. Und eindeutig, die Laufkollegen sollten Recht behalten!

Post scriptum: Lieber Leserschaft: Seit Langem mal wieder ein Artikel. Dabei ist es nicht einmal so, dass Ch. Beyer zuletzt eine künstlerische Krise gehabt hätte. Und Stoff hätte es auch genug gegeben. Doch es war einfach kaum Zeit für die Schreiberei.

Und auch dieses Mal wäre sich Ch. Beyer nicht sicher gewesen, ob er ausreichend Zeit für einen Blogbeitrag gefunden hätte. Die Pandemie hinterlässt bei den Intensivmedizinern ihre Spuren. Zum Glück für Sie, liebe Leser, konnte Ch. Beyer nach der Trail-Route-66 nicht schlafen. Adrenalin, Endorphin, Cortisol. Körper und Geist zogen alle Register, dass Ch. Beyer am Ende des Tages doch sein Ziel erreichen und die Trail-Route-66 beenden konnte. Und weil er nachts nicht schlafen konnte, blieb genügend Zeit zu schreiben.

Vielleicht noch ein Tipp aus dem Netz. Das wohl verrückteste Laufrennen der Welt: Mount Marathon Race in Alaska. Gucken Sie sich den Sieger Kilian Jornet Burgada beim Bergablauf an. So stellt sich Ch. Beyer das auch für sich vor. An der Umsetzung muss er noch üben.

3 Comments

  1. Richter_Gnadenlos2021

    Bin bisl enttäuscht.

    A richtiger Ultralauf war des ja garnicht.

    Hab dacht des zählt erst ab übber 100k?

    Und net amal a Nachtlang durchgewagglt!

    Und füh und abend im selben Bett gelegen und nicht in einem Erdloch!

    Lieber Chuck: da muss beim nächsten mal aber wieder mehr kommen!

    • Naja, aber immerhin ein Schiss in der freien Wildbahn, der auf Pietätsgründen im Hauptartikel keinen Anklang fand… Vielleicht wäre es tatsächlich an der Zeit, Kriterien für ein Microadventure und eine Macrotorture aufzustellen. Vielleicht wäre ein Gremium notwendig. Ein Verein. Eine Weltorganisation. Ein IOC mit Stechen, Hauen und Hieben. Dann hätte Ch. Beyer noch vielmehr zu schreiben. Über Sport und intriganter Sport (= iSport). Great expectations!

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