Eigentlich sollte Ch. Beyer über die aktuelle Frankreich-Reise berichten, die er mit seiner Göttergattin bestreitet: Ein Sechstel Sabbat-Jahr gönnen sich die beiden: Zwei Monate, um den Süden des westlichen Nachbarlandes abzuklappern. Und natürlich bietet eine Reise im Birdmobil und mit zwei Fahrrädern viel Stoff für den Radness-Blog. Doch Ch. Beyer liegt noch anderes am Herzen, was er hier schon längst hätte verarbeiten müssen. Sie wissen ja, liebe Leser, Sie sind Ch. Beyers online-Balint-Gruppe.
Im vergangenen Jahr hat Ch. Beyer viel konsumiert, doch nur wenig produziert. Er hat viel gelesen und recherchiert, aber nicht für Sie verarbeitet und hier präsentiert. Heute soll es daher anders sein und ganz im Allgemeinen sehr speziell werden: Fahrrad-Nerd-Training-Gelaber, nur für die Radness-Hardcore-
Ein Werk hat es Ch. Beyer im vergangenen Jahr besonders angetan: „The Science of Winning: Planning, periodizing and optimizing swim training.“ von Jan Olbrecht. Jan Olbrecht ist ein ehemaliger niederländischer Leistungsschwimmer. Später wurde er Trainer und brachte unter anderem Peter van den Hoogenband zu Olympia-Gold und Luc van Lierde zum Ironman-Sieg auf Hawaii. Dazwischen ging er bei Prof. Alois Mader an der Sporthochschule Köln zur Schule, respektive er promovierte dort in der Sportphysiologie.
Alois Mader wiederum ist eine umstrittene Gestalt in der deutschen Sportwelt. Aus der DDR geflohen, etablierte er die Laktatmessung im deutschen Spitzensport, bildete zahlreiche Weltklasse-Trainer aus und wetterte stets gegen den Deutschen Olympischen Sportbund und die Anti-Doping Praktiken der großen Anti-Doping-Agenturen. Sein Buch „Die Chimäre des Leistungsports und die Irrealität der Trainingswissenschaft: Das deutsche Hochleistungssportsystem als Staatsreligion oder warum deutsche Sportler nicht mehr so erfolgreich sind, wie sie sein könnten.“ ist extrem spannend, aber auch eine hart zu knackende Nuss. Allein schon der Titel, nicht wahr?
Gerade das Thema Doping diskutiert Alois Mader ganz ungewöhnlich — entgegen dem, wie es Normalbürgern in den Medien vermittelt wird. Mader erklärt, warum viele Dopingpraktiken, die Athleten vorgeworfen werden, keine relevante Leistungssteigerung bringen können. Ferner stellt er dar, wie Athleten strafrechtlich verfolgt — mit welcher rechtlich-ethischen Grundlage? — und öffentlich denunziert werden. Unter anderem zeigt er, dass der 10.000 Meter-Läufer Dieter Baumann vermutlich nicht gedopt hatte, was sich wohl aus späteren Erkenntnissen schließen ließ. Doch in der breiten Öffentlichkeit wurde Baumann nie rehabilitiert — oder hat Ch. Beyer hier etwas verpasst?
Letztendlich so Mader, sei auch die Anti-Doping-Politik eben eine Politik, die starken Persönlichkeiten, deren eingefahrener Meinung und einer Menge Lobbyismus unterliegt. Wie so oft! Und da Ch. Beyer tatsächlich keine Ahnung zur Doping-Materie hat, außer der, die in von den Medien eingebläut wird, so war die Gegendarstellung zum Thema Doping durchaus erleuchtend. Wer jetzt dann wie genau richtig liegt, der Mader oder die anderen, das weiß Ch. Beyer zwar auch nicht, doch ist er sich des Spektrums der Wahrheiten nun eher bewusst.
Und schon wieder ist Ch. Beyer weit abgeschweift, nicht wahr? Doch dafür hat er mit Alois Mader gleich noch ein weiteres Thema, was abgehandelt werden musste, hier auf dem Radness-Blog rekapituliert. Doch zurück zum Mader-Schüler Olbrecht, der so schön wie niemand anderes Ausdauertraining am Beispiel des Schwimmsportes aus leistungsphysiologischer Sicht durchzirkelt.
Dreh- und Angelpunkt von Jan Olbrechts Überlegungen sind die drei Systeme, die den Muskelzellen Energie zur Verfügung stellen: (1) Das Kreatinkinase-System zur sehr kurzzeitigen Energiebereitstellung, also bis knapp 10 Sekunden Belastung. Dieses System ist mit Ausnahme von 50 m Sprints im Wasser nahezu irrelevant, geschweige denn für Marathonläufer oder Bikepacker von Bedeutung. (2) Belastungen für bis zu 3 bis 5 Minuten werden primär durch die anaerobe Glycolyse getragen, bei der Laktat entsteht. Energieträger ist ausschließlich Glycogen, also die „gespeicherten Kohlenhydrate“. (3) Für die meisten Ausdaueraktivitäten ist die aerobe Glycose am bedeutendsten. Die aerobe Glycolyse ist ob des Treibstoffs gar nicht wählerisch und verstoffwechselt Kohlenhydrate/Glycogen oder Fette oder gar Ketone zu Wasser (Pippi und Schweiß) und Kohlenstoffdioxid.
Wenn man nun das Kreatinkinase-System als irrelevant außen vorlässt, bleiben noch anaerobe und aerobe Glycolyse. Für alle, die nun längere Ausdauerleistungen vollbringen wollen, dürfte theoretisch nur die aerobe Glycolyse interessant sein. Dem ist aber nicht ganz so, denn die anaerobe Glycolyse hilft dem Ausdauerathleten die aerobe Glycolyse zu trainieren. Wie das? Nun grob gesagt, kann die vermehrte Energiebereitstellung durch die anaerobe Glycolyse, den Ausdauersportler in Bereiche katapultieren, in denen er die aerobe Glycolyse besser trainieren kann. Die anaerobe Glycolyse kann nämlich mehr Energie pro Zeit zur Verfügung stellen, als die aerobe Glycolyse. Dafür hat die aerobe Glycolyse mit den Fettpölsterchen eine schier unbegrenzte Menge an Energieträgern zur Verfügung.
Sowohl bei aerober wie auch bei anaerober Glycolyse unterscheidet Jan Olbrecht nochmals zwischen Capacity und Power. Dabei entspricht Capacity oder Kapazität der maximalen Leistungsfähigkeit des Sportlers im anaeroben oder aeroben Sytem und Power der Fähigkeit des Sportlers, diese Leistungsfähigkeit auszunutzen. Ein Sportler mit großer Kapazität (viel Hubraum im PS-Jargon) aber schlechter Power (also wenig PS) ist gar langsamer als ein Sportler mit geringer Kapazität (wenig Hubraum) und viel Power (viel PS). Bei Formel-1-Rennern ist die Kapazität durch Regularien ebenfalls beschränkt: Irgendwie zaubern die Formel-1-Hersteller aus 2 Liter Hubraum sagenhafte 800 PS. Einer der Nachteile ist, dass diese Motoren recht anfällig sind und gut warmgefahren werden müssen. Außerdem ist die Power durch den eingeschränkten Hubraum nach oben hin irgendwann begrenzt. Ganz ähnlich geht es den Sportlern mit viel Power und geringer Capacity: es besteht ein relativ hohes Erkrankungs- und Verletzungsrisiko und irgendwann können sich die Athleten nicht mehr weiter entwickeln, wenn sie nicht zuerst ihre Capacity verbessern.
Und noch ein weiterer Faktor ist zu berücksichtigen: Trainingseineiten für anaerobe und aerobe Capacity und Power unterscheiden sich substantiell und behindern sich gegenseitig. So wird ganz fern vom Hauptwettbewerb die anaerobe und aerobe Capacity trainiert, auf Kosten der jeweiligen Power. Je näher der wichtige Wettkampf rückt, desto mehr Power braucht der Athlet, wobei wieder Capacity flöten geht.
Fähige Trainer müssen nun feststellen, wie das metabolische Profil ihrer Athleten beschaffen ist, an welchem Wettbewerb diese teilnehmen möchten, wie sie sich langfristig entwickeln wollen und welches Training zu welchem Zeitpunkt daher zum Ziel führt.
Ja liebe Leser, Ch. Beyer hört Sie jetzt unken: „Mir viel zu kompliziert: Ich geh einfach Schwimmen, Radfahren oder Laufen!“ Für die meisten Sportler ist das vermutlich hinreichend, und für andere mit exzellentem Körpergefühl gar ideal. Die wissen intuitiv, was für sie gut ist. Für Athleten vom Typ „Brechstange“, und Ch. Beyer ist dieser Kategorie zugehörig, ist es jedoch hilfreich, einmal mehr über den Tellerrand zu gucken, um sich zu überlegen, wie man gezielter trainiert und dadurch nicht nur fitter, sondern auch gesünder wird. Vielleicht gelingt Ch. Beyer zukünftig sogar eine Saison ohne Übertrainingszustände.
In diesem Zusammenhang hilft Jan Olbrechts Buch mit zusätzlichen Tipps enorm weiter: So zum Beispiel verkraften Athleten mit geringer anaerober Capacity, also klassische Dieseldampflokomotiven, nur wenig anaerobes Training. Folglich sollte Ch. Beyer nicht exzessiv sein defizitäres Laktatbildungssytem trainieren, sondern nur wohl dosiert: Nach den Empfehlungen von Jan Olbrecht entsprechen dem circa 3 bis 4 Minuten anaerobe Gesamtzeit pro Woche! Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die aerobe Capacity limitierend für den Gesamttrainingsumfang ist. Olbrecht führt hier eine mögliche Rolle der aeroben Capacity für den Proteinstoffwechsel an (Wiederaufbau der im Training zerstörten zellulären Strukturen). Ch. Beyer mit seiner geschätzten 60er oder 65er VO2 Max braucht nach Berechnungen von Björn Kafka, der das madersche und olbrechtsche System genauestens studiert und weiterentwickelt hat, maximal 16 bis 18 Stunden pro Woche trainieren, unter optimalen Bedingungen, ohne relevanten beruflichen Stress. Adé, liebe 30 Stunden-Trainingswochen!
Liebe Leser, fragen Sie sich, was Ch. Beyer mit diesen Erkenntnissen anstellt. Zum einen reflektiert er seine vergangenen Trainingsjahre und stellt verblüfft fest, dass sich seine besten Saisons nicht durch das meiste und härteste Training auszeichneten, sondern manchmal —per Zufall— das ein oder andere Prinzip von Jan Olbrechts Trainingslehre beinhalteten. Zum anderen überlegt er natürlich, wie er sein Training auch olbrechtisieren könnte. Nun gut: Eine ordentliche Leistungsdiagnostik zur Bestimmung der aeroben Capacity (= VO2 Max) und der anaeroben Capacity (= VLa Max) wäre wohl enorm hilfreich. Und ein Trainer täte wahrscheinlich auch nicht schaden tun. Doch was soll’s: Ch. Beyer bleibt Trainings-Theoretiker, was fast das gleiche ist, wie theoretischer Physiker. Ach, Sie wissen schon: Schade, dass die Serie eingestellt wurde! Für Ch. Beyer ist das Wissen die halbe Miete, denn mit gesundem Halbwissen lässt im neuen Jahr einiges ausprobieren.
Um der großen Frankreich-Rundfahrt doch noch gerecht zu werden, teilt Ch. Beyer mit Ihnen, liebe Leser, einige aktuelle Einschätzungen: Ch. Beyer absolviert in Frankreich ausschließlich aerobes Capacity Training, während die Göttergattin sich mit aerober Power durchboxen muss. Über den Mont Le Revard hat Ch. Beyer schon berichtet. Zuletzt erklommen Ch. Beyer und die Göttergattin das Mekka des Radsports, nämlich Alpe d‘Huez, gefolgt vom wenig bekannte Col de la Sarenne (1999 m). Zum Ausgleich lockte danach ein Mini-Höhentrainingslager in Montgenèvre an der französisch-italienischen Grenze. Von dort aus ging es zu Fuß auf den Chenaillet und den Grand Chalvet. Sowohl beim Radfahren als auch beim Wandern, so können Sie sich vielleicht vorstellen liebe Leser, kam es nicht nur zu physiologischen Anpassungsprozessen. Doch darüber kann Ch. Beyer getrost ein anderes Mal berichten. Mit einem Spruch der Ultras, sagt er Ihnen, liebe Leser, nun gute Nacht: „10% Body, 90% Mind!“ … ha, warum haben Sie sich nun durch diesen Blog gequält?
Christoph Schreyer
Ich hoffe in Kurve 7 hab ihr andächtig eine Portion Gouda verspeist.
Trainingstheoretiker ist die beste Einstellung. Es geht doch besten mit Koprergefühl, oder will irgendjemand der es als Hobby macht, wirklich am Rad sitzen und statt der Landschaft wie Wattzahlen an der Headunit angucken?
Chuck Beyer
Bio-Energie-Riegel gab es, ohne Gluten. Aber wenn Du nächstes Jahr Gouda mitnimmst, freuen wir uns schon jetzt auf Dein Foto! Liebe Grüße Chuck
DonHorsto
Hmmmmmm.
Hmmmmmmmmm.
Jaaa. Hmmmm.
Es is scho was drann irchndwie.